Wicked - Die Hexen von Oz
gemäÃigte Diktatur dieses miesen glorreichen Zauberers â siehst du, selbst ich vergesse, dass wir jetzt einen Freistaat Munchkinland haben. Sie unterschätzen das Ausmaà der Vergeltung, die unweigerlich kommen wird. Wobei Krott aus verlässlichen Quellen erfahren hat, dass die Getreidevorräte in der Smaragdstadt riesig sind und sie uns von daher noch eine Zeitlang machen lassen können. Abgesehen davon, dass einige Divisionen über die Grenze gejagt und einige betrunkene Randalierer verhaftet wurden, ist das bis jetzt eine höchste zahme Befreiung gewesen. Wir lassen uns weismachen, wir wären sicher. Auch Nessie, glaube ich, lässt sich das weismachen. Ich fand schon immer, dass du einen klareren Kopf hast als sie. Du kannst ihr helfen.«
»Das habe ich immer getan, Papa«, sagte sie. »In der Kindheit und an der Akademie. Ich dachte, sie kann jetzt auf eigenen Beinen stehen.«
»Du hast von den schönen Schuhen gehört«, sagte er. »Ich habe sieeiner alten Hausiererin abgekauft und dann eigenhändig für Nessa mit Glas und Metall verziert, wie ich es seinerzeit von Schildkrötenherz gelernt habe. Ich wollte ihr damit ein Gefühl von Schönheit geben, aber ich dachte nicht, dass jemand anders sie verzaubern würde. Was mir durchaus nicht leid tut. Aber Nessa meint jetzt, sie bräuchte niemanden mehr, der ihr stehen oder regieren hilft. Sie hört weniger auf andere als je zuvor. In gewisser Weise sind diese Schuhe gefährlich geworden, finde ich.«
»Ich wünschte, du hättest sie für mich gemacht, Papa«, sagte sie leise.
»Du hast sie nicht gebraucht. Du hattest deine Stimme, deine Energie, ja deine Grausamkeit als Rüstung.«
»Meine Grausamkeit!« Sie fuhr zurück.
»Du warst ein kleiner Teufel«, sagte Frex. »Aber was sollâs, das wächst sich aus mit der Zeit. Du warst schrecklich, als du anfangs mit anderen Kindern zusammen warst. Du bist erst ruhiger geworden, als wir umherzuziehen begannen und du das kleine Schwesterchen halten durftest. Nessarose hat dich gezähmt, weiÃt du das? Schon als ganz kleines Kind hat sie deine Wildheit mit ihrer offensichtlichen Bedürftigkeit gezügelt. Du wirst dich daran nicht mehr erinnern, vermute ich.«
Elphaba konnte sich nicht erinnern, sie konnte über das alles nicht nachdenken. Selbst die Vorstellung, grausam gewesen zu sein, bekam sie nicht zu fassen. Stattdessen versuchte sie, Zuneigung für ihren Vater zu empfinden, auch wenn sie es leid war, schon wieder die zweite Rolle spielen zu sollen, die Dienerin der lieben armen Nessarose. Sie zwang sich, an die Sorge ihres Vaters für die Bürger von Munchkinland zu denken. Einmal Seelsorger, immer Seelsorger. Obwohl sie seine theologischen Ansichten ablehnte, bewunderte sie ihn für seine Menschlichkeit.
»Du musst mir eines Tages mehr über Schildkrötenherz erzählen«, sagte sie in möglichst ungezwungenem Ton, »aber jetzt sollte ich wohl meine Schwester begrüÃen. Und ich werde über deine Worte nachdenken, Papa. Ich kann mir nicht vorstellen, mit dir und Nessaroseein Führungstrio zu bilden â oder ein Quartett, falls Krott auch mitmachen sollte. Aber ich warte noch eine Weile mit meinem endgültigen Urteil. Ach, und Krott, Papa, wie gehtâs dem?«
»Er ist hinter den feindlichen Linien, heiÃt es«, antwortete Frex, während sie sich zum Gehen erhob. »Er ist ein Draufgänger und wird zu den ersten Opfern gehören, wenn es erst einmal richtig losgeht. Er ist dir in mancher Beziehung ähnlich.«
»Ist er grün geworden?«, fragte sie spöttisch.
»Er klebt fest wie ein Sündenfleck an seinen Zielen«, erwiderte er.
Nessarose hatte sich in die oberen Gemächern zu ihrer Morgenandacht zurückgezogen. Frex verschaffte Elphaba die Genehmigung, Haus und Grund ungehindert zu durchstreifen. SchlieÃlich wäre unter anderen Umständen sie die Eminenz Thropp geworden (oder konnte sie sogar noch werden), die Eminenz des Ostens, das Oberhaupt des Freistaats Munchkinland. Frex beobachtete seine grüne Tochter dabei, wie sie durch die marmornen Gänge schlenderte, den Besen in der Hand wie eine Putzfrau, wie sie die Goldverzierungen anschaute, den Damast, die frischen Blumen, die livrierten Diener, die Porträts. Wie immer spürte er tief in der Brust einen stechenden Schmerz, wenn er daran dachte, was
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