Wicked - Die Hexen von Oz
Schnapp mit einem seelischen Leiden darniederlag, das sie ihr einmal angedichtet hatte. »Mit mir ist es moralisch ohnehin nicht zum Besten bestellt, Nessa.«
»Dann muss die Zauberei, wenn sie überhaupt einen Nutzen haben soll, dich charakterlich festigen«, erklärte Nessarose entschieden. »Wenn du in dieser Richtung Anstrengungen unternimmst, wird wohl am Ende etwas Gutes dabei herauskommen. Benutze dein Zaubertalent, lass dich nicht davon benutzen.«
Glinda hatte die Befürchtung, Nessarose könnte mit der Zeit eine penetrante Ãberheblichkeit entwickeln. Bei dem Gedanken schauderte es sie, obwohl sie beschloss, sich Nessaroses Empfehlung zu Herzen zu nehmen.
Doch Elphaba sagte: »Glinda, das war eine gute Frage. Ich wünschte, Frau Gräuling hätte sie beantwortet. Diese albtraumartige Szene mit dem Geweih kam mir auch mehr wie Magie als wie Wissenschaft vor. Der arme Junge! Sollen wir Doktor Nikidik nächste Wochen fragen?«
»Wer würde sich das trauen?«, rief Glinda. »Bei Frau Gräuling geht das noch, sie hat so etwas Lächerliches. Aber Doktor Nikidik mit seiner zerstreuten Mummelbrummelart â er ist so abgehoben.«
In der biowissenschaftlichen Vorlesung der folgenden Woche waren alle Augen auf den Neuen aus dem Winkus gerichtet. Er kam frühzeitig und setzte sich in die hinteren Ränge, so weit vom Katheder entfernt, wie es ging. Boq betrachtete ihn mit dem eingefleischten Misstrauen aller sesshaften Bauern gegen Nomaden, doch er musste zugeben, dass der Neue einen intelligenten Blick hatte. Avaric schob sich auf den Sitz neben Boq und sagte: »Es heiÃt, dass er ein Fürst ist. Ein Fürst ohne Geld oder Thron. Ein verarmter Adeliger. In seinem Stamm, meine ich. Er hat die Ozma-Türme bezogen und heiÃt Fiyero. Er ist ein echter, vollblütiger Winkie. Ich frage mich, was er von der Zivilisation hält.«
»Wenn das vorige Woche Zivilisation war, dann muss er sich nach seinen heimischen Barbaren zurücksehnen«, sagte Elphaba, die auf Boqs anderer Seite saÃ.
»Wozu hat er diese alberne Bemalung?«, sagte Avaric. »Damit erregt er doch bloà Aufmerksamkeit. Und diese Haut. Ich möchte keine Haut mit einer solchen Farbe haben.«
»Wie kannst du so was sagen!«, empörte sich Elphaba. »Wenn du mich fragst, ist das eine farblose Meinung.«
»Bitte!«, sagte Boq. »Seid einfach still!«
»Das hatte ich vergessen, Elphie, die Hautfarbe ist ja auch dein Thema«, sagte Avaric.
»Lass mich aus dem Spiel!«, erwiderte sie. »Wir haben gerade gegessen, und du machst mir Magendrücken, Avaric. Du und die Bohnen, die es gegeben hat.«
»Ich wechsle den Platz«, drohte Boq, doch in dem Moment kam Doktor Nikidik herein, und alle erhoben sich, wie es Vorschrift war, und lieÃen sich dann wieder polternd, knuffend und schwatzend auf die Sitze fallen.
Eine ganze Weile schlenkerte Elphaba mit der Hand, um denDoktor auf sich aufmerksam zu machen, doch sie saà zu weit hinten und er brummelte unbeirrt etwas in seinen Bart. SchlieÃlich lehnte sie sich zu Boq hinüber und sagte: »In der Pause setze ich mich nach vorn, damit er mich bemerkt.« Doktor Nikidik beendete seine nicht zu verstehende Einleitung und winkte einem Studenten, die Tür an der Seite der Bühne zu öffnen, durch die Fiyero in der Woche davor gekommen war.
Ein Junge vom Drei-Königinnen trat ein und schob wie ein Kellner einen Rollwagen vor sich her. Darauf saà ein Löwenjunges so zusammengekauert, als wollte es sich so klein wie möglich machen. Selbst von den hinteren Rängen aus war seine Todesangst zu erkennen. Sein kleiner erdnussbrauner Schwanz peitschte hin und her, und seine Schultern waren hochgezogen. Es hatte noch keine Mähne, dafür war es noch zu klein. Doch der braune Kopf wandte sich hierhin und dorthin, als wollte es die Gefahren zählen. Es riss das Maul zu einem kleinen verängstigten Kläffen auf, der kindlichen Form des erwachsenen Brüllens. Im ganzen Saal schmolzen die Herzen, und viele machten »Oooooh«.
»Kaum mehr als ein Kätzchen«, sagte Doktor Nikidik. »Ich wollte es eigentlich Prr nennen, doch es zittert mehr als es purrt, deshalb habe ich es stattdessen Brr genannt.«
Das Tierchen sah Doktor Nikidik an und verzog sich an den entgegengesetzten Rand des Wagens.
»Die Frage des Morgens lautet folgendermaÃen«, fuhr
Weitere Kostenlose Bücher