Wickelblues & Wimperntusche (German Edition)
halten.
Er war. „Frau von Grünberg hat sich verletzt und wird im Moment behandelt“, hörte ich ihn draußen sagen. „Nichts Ernstes, aber es wird noch einige Minuten dauern, ehe sie Ihre Fragen beantworten kann. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.“
„Lassen Sie mich durch, ich bin ihr Verleger“, protestierte Andrea, aber Ingo erlaubte keine Ausnahme.
„Sie sind also diese Thea von Grünberg, von der hier alle sprechen?“, fragte der junge Sanitäter an meiner Seite und lächelte mir zu.
„Ja, ich meine nein …“ Nicht gerade starmäßig, oder?
„Sie sollten sich ausruhen“, sagte er und tastete nach meinen Puls. „Ein bisschen zu viel vorgenommen?“
Ich nickte. „So ungefähr.“
„Da sind Sie nicht die einzige.“
Ich sah mich im Zelt um und bemerkte mehrere Läufer beiderlei Geschlechts, die sich die eine oder andere Blessur verarzten lassen mussten. Einige hatten sich auf den Liegen breit gemacht, ständig beobachtet von weiß gekleideten Helfern.
„Na, Frau von Grünberg? Bereit für Teil zwei?“ Ingo hockte sich neben mich und griff ganz selbstverständlich meine Hand, die ich ihm nur zu gern überließ. Ich nickte und stand auf. Am Ausgang drückte Ingo mir noch einmal ermutigend die Hand.
„Wenigstens musst du jetzt nicht mehr laufen“, raunte er mir ins Ohr.
„Sollte ich aber“, raunte ich zurück. „Weit und schnell weglaufen. Aber dazu ist es jetzt zu spät, glaube ich.“
Ich hatte kaum den Kopf zum Zelt herausgesteckt, als der Jubel meiner Familie mich umhüllte wie eine warme Decke. Wieder musste Andrea warten, was ihm sichtlich schwer fiel. Erst, nachdem jeder einzelne umarmt und gedrückt worden war, hatte ich genug Mut für das, was ich mir vorgenommen hatte.
Ich zwinkerte Ingo zu, schloss den Reißverschluss meiner Trainingsjacke und wendete mich Andrea und seinem Tross zu. Ich kämpfte die Panikattacke nieder, die mich beim Anblick der Mikrofone und Kameras erfasste, und zögerte.
„Bist du sicher, dass du das willst?“, flüsterte der blonde Riese hinter mir und massierte sanft meinen Nacken.
„Wusste ich jemals in meinem Leben, was ich will?“, gab ich zurück und brachte sogar ein schiefes Lächeln zustande. „Nach heute brauche ich mich nie wieder zu fürchten, weißt du noch?“
Ich wandte mich um und begrüßte die Journalisten und Neugierigen, so lässig es ging. Andrea drängte sich an meine Seite und sonnte sich im Licht des Ruhmes, den er geschaffen hatte, nicht ahnend, was gleich über ihn hereinbrechen würde.
Ich bat um Ruhe und räusperte mich. Statt an Andrea oder die Medien dachte ich an die PEPITA-Leser und das, was sie in mir zu sehen glaubten.
„Sind Sie wirklich Thea von Grünberg?“, fragte ein junger Mann mit Mikrofon und Tennisschuhen.
Ich schluckte. Wie konnte man weiße Tennisschuhe zur schwarzen Jeans tragen? Doch die Ablenkung half nicht, mein Mund blieb trocken wie altes Knäckebrot.
Auf in den Kampf, Yvi! Du schaffst das!
Nur Mut, Schwester! Jetzt ist die Gelegenheit deines Lebens!
Vergiss den Knast und hau sie alle um!
Danke ihr drei, das werde ich alles brauchen!
Ich sah in die Kamera und stellte mir vor, die Verfasserin des Leserbriefes mit der geschenkten Ferienreise stünde dort.
„Ja, ich bin Dr. Thea von Grünberg, Soziologin, Kommunikationswissenschaftlerin und neuerdings Redakteurin bei der Zeitschrift PEPITA in der Rubrik ‚Moderne Frau‘. Oder vielmehr bin ich diejenige, die Sie dafür halten.“
Ein Raunen ging durch die Menge, die angesichts der Kameras schnell größer geworden war.
Denk an Australien, Yvi!
Irgendwo murmelte jemand: „Skandal!“, ein anderer wollte wissen, wer denn das da vorne sei und ob man die kennen müsse.
Kopf hoch, Po rein und weiter machen!
„Manch einer von Ihnen kennt mich als Dr. Thea von Grünberg, studierte Soziologin, erfolgreiche Managementberaterin und Mutter zweier Kinder, die so ganz nebenbei noch ihre pflegebedürftige Schwiegermutter, den manchmal etwas hilflosen Gatten sowie das Hauspersonal der Familie samt Anhang umsorgt. Ganz zu schweigen von den Vorbereitungen für den Berlin-Marathon, selbst gestecktes sportliches Ziel für den Herbst.“ Die Menge raunte – ja, davon hatte man gehört.
Ich entdeckte meine Familie gleich hinter den Reportern und winkte ihnen zu. Ich sah Lottas aufmunterndes Nicken, Roberts bleiches Gesicht und Svenjas kämpferisch verkniffenen Mund und wusste, dass es so schlimm gar nicht kommen konnte. Sogar Falk war
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