Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Krüppels der Wahrheit entsprachen, herrschte in Europa geradezu unbeschreibliches Leid. Und das bedeutete, daß Rasalom nach der jahrtausendelangen Auseinandersetzung mit Glaeken genug Macht gewinnen konnte, um einen letzten und entscheidenden Sieg über den Widersacher zu erringen. Er hatte geglaubt, daß sein Schicksal besiegelt wäre, als ihn Glaeken in der Feste eingesperrt hatte, aber jetzt ergab sich eine neue Chance.
Es fiel Rasalom nicht leicht, seine Ungeduld zu zähmen. Jeden Augenblick rechnete er damit, einen Strom der Kraft zu spüren, doch nichts dergleichen geschah. Inzwischen hät te der Krüppel den Weg schon zweimal zurücklegen können!
Was hielt ihn auf? Rasalom ließ seinen Geist durch die Feste wandern, und er spürte die Anwesenheit einer jungen Frau. Offenbar wurde Cuza von seiner eigenen Tochter dar an gehindert, das Kastell zu verlassen. Warum? Sie konnte nichts von dem Schwertheft wissen – es sei denn, Glaeken hatte ihr noch vor seinem Tod davon erzählt.
Rasalom winkte mit der linken Hand, und in der Dunkelheit hinter ihm richteten sich die Leichen von Sturmbannführer Kämpffer und Major Wörmann auf.
Kalte Wut erfaßte das Schattenwesen, als es mit langen Schritten durch den Tunnel marschierte. Die beiden Toten schlossen sich ihm an, und hinter ihnen folgte die Rattenarmee.
Magda beobachtete erschrocken, wie das aus Gold und Silber bestehende Heft heranschwang. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, daß ihr Vater in ihr tatsächlich nur ein Hindernis sah, das es aus dem Weg zu räumen galt. Aber jetzt holte er zu einem tödlichen Hieb aus! Nur der Überlebensinstinkt bewahrte Magda vor dem Tod: Aus einem Reflex heraus wich sie einen Schritt zurück, duckte sich, sprang vor und warf den Angreifer zu Boden. Sofort ließ sie sich auf die Knie sinken, zerrte an dem Heft und riß es dem keuchenden Mann aus der Hand.
»Gib mir den Talisman zurück!« kreischte er. »Du verdirbst alles! Gib ihn mir zurück!«
Magda stand wieder auf und blieb neben dem Tor stehen. Sie schloß die Finger fest um den goldenen Griff des Hefts und hob es hoch über den Kopf.
Theodor Cuza stemmte sich in die Höhe, spannte die Muskeln und stürmte los. Magda entging der vollen Wucht des Aufpralls, doch es gelang dem Professor, einen Arm um den Hals seiner Tochter zu schlingen und sie herumzudrehen. Er ballte die Fäuste, schlug auf sie ein und schrie wie ein wildes Tier.
»Hör auf damit, Vater!« rief Magda, aber er schien sie gar nicht zu hören. Seine Finger krümmten sich zu Krallen, als er versuchte, ihr die Augen auszukratzen. Magda handelte, ohne nachzudenken: Sie schmetterte ihrem Vater das Heft an den Schädel.
Er ließ plötzlich von ihr ab, rollte mit den Augen, sank aufs Kopfsteinpflaster und blieb reglos liegen. Magda starrte entsetzt auf ihn herab.
O Gott, was habe ich getan?
»Warum hast du mich gezwungen, dich zu schlagen?« warf sie dem Bewußtlosen vor. »Konntest du mir nicht vertrauen? Wenigstens einmal ?«
Sie mußte ihn in Sicherheit bringen – nur einige Meter über die Schwelle genügten. Doch zuerst kam es darauf an sicherzustellen, daß das Schwertheft in der Feste blieb. Anschließend konnte sie sich um ihren Vater kümmern.
Auf der anderen Seite des Hofes gähnte die dunkle Öffnung des Kellerzugangs. Wenn ich das Heft ins Gewölbe werfe, besteht keine Gefahr mehr. Magda setzte sich in Bewegung, aber auf halbem Wege blieb sie ruckartig stehen. Jemand kam die Treppe herauf.
Rasalom!
Er schien zu schweben – er glitt aus dem Keller, so als bilde der Nebel ein Kissen unter ihm. Als er Magda erblick te, brannte das Feuer des Zorns in seinen dunklen, glühenden Augen.
Langsam näherte er sich, bleckte die Zähne und grollte kehlig.
Die junge Frau behauptete ihre Stellung. Glaeken meinte, das Heft neutralisiere Rasaloms Macht. Ich muß Glaekens Worten vertrauen. Sie fühlte sich stark genug, um es mit dem Untoten aufzunehmen.
Rasalom kam näher, und hinter ihm bewegte sich etwas. Zwei andere Gestalten traten aus dem Kellerzugang, zwei Männer mit bleichen, ausdruckslosen Gesichtern. Magda erkannte Major Wörmann und Sturmbannführer Kämpffer – und begriff sofort, daß sie tot waren. Glaeken hatte von den wandelnden Leichen erzählt, und deshalb war sie nicht be sonders überrascht. Trotzdem lief es ihr kalt über den Rücken.
Und gleichzeitig fühlte sie sich seltsam sicher.
Rasalom blieb ein paar Meter vor ihr stehen und hob langsam die Arme und breitete sie
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