Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
begann. Der Tag! Natürlich! Molasar war ein Geschöpf der Nacht und brauchte daher jemanden, der sich auch tagsüber im Freien aufhalten konnte. Was für eine Erleichterung, die Zweifel aus sich verdrängen zu können – das Tageslicht erklärte alles!
Als sich Cuzas Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten, blickte er über den nebelbedeckten Platz und bemerkte eine Gestalt, die im geöffneten Tor stand und wartete. Er erschrak und dachte zunächst, daß einer der Wächter das Gemetzel überlebt haben könnte.
Dann erkannte er seine Tochter. Er lachte glücklich und lief auf sie zu.
Magda wartete vor der Schwelle und spähte auf den kleinen Platz. Er war menschenleer und still. Die Spuren des Kampfes waren unübersehbar: Kugellöcher im Blech der Lastwagen, gesplitterte Windschutzscheiben. Rauch kräuselte aus dem durchgebrannten Generator. Nichts rührte sich. Die junge Frau schauderte und fragte sich, was unter dem dichten Dunst liegen mochte, der das Kopfsteinpfla ster bedeckte.
Während sie auf ihren Vater wartete, wanderten ihre Gedanken zu Glenn – Glaeken. Skepsis nagte an der bis vor wenigen Minuten sicheren Überzeugung, daß er recht hatte. In der Dunkelheit geflüsterte Worte verloren einen Teil ihrer Bedeutung, wenn ein neuer Tag begann.
Irgendwelche Mächte oder Kräfte, die maßgeblichen Einfluß auf das Schicksal der Menschen ausübten … Licht und Chaos im Kampf gegeneinander …
Was für ein Unsinn!
Aber Molasar, beziehungsweise Rasalom, war Realität und weitaus mehr als nur Erinnerung an einen Alptraum. Er verkörperte das Böse – das wußte Magda, seit sie zum erstenmal seine Berührung gespürt hatte.
Und Glaeken, wenn er tatsächlich so hieß … Er schien nicht in dem Sinne böse zu sein, eher verrückt. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, der behauptete, aus dem sogenannten Ersten Zeitalter zu stammen und älter zu sein als die Ursprünge des Judaismus. Er trug ein Schwert bei sich, das glühte und Wunden heilte, die einen normalen Mann auf der Stelle umgebracht hätten. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Und außerdem zeigte er sich nicht im Spiegel.
Himmel, vielleicht bin ich verrückt! Kann jemand, der verrückt ist, an seinem eigenen Verstand zweifeln? Wenn alles, was Glaeken ihr erzählt hatte, tatsächlich wahr war und im Dinu-Paß über das Schicksal der ganzen Welt entschieden wurde … Wem sollte Magda vertrauen? Rasalom, der fünfhundert Jahre lang geschlafen hatte, wie er selbst zugab, und jetzt das Ende Hitlers, des Nazifaschismus und der Konzentrationslager in Aussicht stellte? Oder dem rothaarigen Mann, den sie liebte und der sie so oft belogen und ihr sogar einen falschen Namen genannt hatte? Ihr Vater behauptete, daß er ein Verbündeter der Nazis wäre …
Sie mußte eine Entscheidung treffen. Und zwar bald.
Deutlich erinnerte sie sich an Glaekens letzte Worte: »Bleib vor der Torschwelle stehen. Du darfst auf keinen Fall die Feste betreten. Sie ist jetzt Rasaloms Domäne!« Aber sie begriff, daß ihr gar nichts anderes übrigblieb, als das Tor zu durchschreiten. Die Aura des Bösen war inzwischen so stark geworden, daß es ihr schwergefallen war, die Brücke zu überqueren. Sie wollte herausfinden, wie sich das Unheil im Kastell anfühlte – vielleicht half ihr das dabei, einen Entschluß zu fassen.
Magda trat einen Schritt vor – und wich sofort wieder zu rück. Kalter Schweiß drang ihr aus allen Poren. Sie wünsch te nichts sehnlicher, als vor dem Tor bleiben zu können, aber die Umstände ließen ihr keine Wahl. Trotzig trat sie über die Schwelle.
Entsetzen brandete ihr wie eine Flutwelle entgegen und preßte ihr die Luft aus den Lungen. Magda schwankte; sie konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Die Intensität des Bösen erschien ihr fast greifbar. Sie spielte mit dem Gedanken, herumzuwirbeln und auf die Brücke zurückzukehren, nahm aber allen Mut zusammen, um dieser Versuchung zu widerstehen. Die Feste atmete den Odem des Verderbens, und sie nahm diesen Umstand als Beweis dafür, daß Glaeken recht hatte. Rasalom durfte das Kastell auf keinen Fall verlassen. Und das bedeutete, daß sie ihren Vater aufhalten mußte, wenn er das Schwertheft aus dem Kastell bringen wollte.
Kurz darauf nahm sie eine Bewegung auf der anderen Seite des Hofes wahr. Theodor Cuza kam aus dem Kellerzugang und blieb einige Sekunden lang unschlüssig stehen – bis er seine Tochter erkannte und loslief. Magda bemerkte, daß Lehmbrocken an seiner schmutzigen
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