Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
wenn du mich stromaufwärts bringst!«
Der Fischer starrte auf das gelbe Metall, gab aber keine Antwort und kaute auf der Unterlippe. In seiner Tasche befand sich bereits so viel Gold, daß er der reichste Mann des Dorfes war – zumindest für eine Weile. Aber nichts währte ewig: Irgendwann mußte er wieder aufs Meer und die Netze ausbringen. Mit zwei zusätzlichen Münzen konnte er den Müßiggang ein wenig länger genießen. Er versuchte sich vorzustellen, wie viele Fahrten notwendig waren und wie viele Fische er fangen mußte, wenn er eine vergleichbare Summe verdienen wollte …
Der Rothaarige erforschte Kiamils Gesichtsausdruck, als der Türke überlegte und die Risiken gegen die Vorteile eines neuerlichen Verdienstes abwog. Der Rothaarige dachte ebenfalls an die möglichen Gefahren: Sie mußten bei Tageslicht fahren und sich nah am Ufer des Kanals fortbewegen – ein türkisches Schiff in rumänischen Gewässern.
Reinster Wahnsinn! Selbst wenn sie in die Nähe von Galatz gelangten, ohne unterwegs kontrolliert zu werden – bei der Rückfahrt konnte Kiamil nicht auf ein ähnliches Wunder hoffen. Er mußte damit rechnen, von einer Patrouille angehalten und ins Gefängnis gesteckt zu werden. Über sein eigenes Schicksal machte sich der rothaarige Mann keine Sorgen. Selbst wenn man ihn verhaftete – bestimmt fand er eine Fluchtmöglichkeit. Aber Kiamil würde den Kutter verlieren und vielleicht auch sein Leben.
Das war ihm gegenüber nicht fair.
Er ließ die Münzen in dem Augenblick sinken, als der Türke die Hand danach ausstreckte.
»Schon gut, Kiamil«, sagte der Rothaarige. »Vermutlich ist es besser, wenn wir uns an die ursprüngliche Vereinbarung halten. Setz mich irgendwo am Ufer ab.«
Der alte Mann nickte, und in seinem ledrigen Gesicht zeigte sich keine Enttäuschung, eher Erleichterung. Das verlockende Glänzen der angebotenen Münzen hätte ihn fast zum Narren werden lassen.
Als sich das Schiff der Küste näherte, griff der Rothaarige nach seinen Sachen und dem flachen Kasten. Dicht vor dem Ufer, das sich an dieser Stelle als eine Mischung aus Sand und Schlamm darbot, nahm der Türke das Gas weg. Der rothaarige Mann schwang sich über die Reling und sprang an Land.
Dort wandte er sich noch einmal um. Der alte Kapitän winkte kurz und lenkte den Kutter vorsichtig in tieferes Wasser zurück.
»Kiamil?« rief der Rothaarige. »Hier!« Er warf ihm die beiden Münzen nacheinander zu, und der Türke fing sie geschickt mit einer schwieligen Hand auf.
Er bedankte sich überschwenglich und beschwor Mohammed und alle Heiligen des Islam, seinen Gönner zu schützen. Sein Passagier lächelte kurz und stapfte dann durch den Morast. Insektenschwärme, giftige Schlangen und Treibsand erwarteten ihn, und wenn er den Sumpf verließ, mußte er damit rechnen, der Eisernen Garde zu begegnen. Sie konnte ihn zwar nicht hindern, sein Ziel zu erreichen, aber vielleicht kam er dadurch langsamer voran. Und der Zeitfaktor wurde immer wichtiger.
17. Kapitel
Die Feste
Dienstag, 30. April • 16.47 Uhr
Wörmann stand am Fenster und beobachtete die Männer im Hof. Im Gegensatz zum vergangenen Tag bildeten sie zwei Gruppen, auf der einen Seite die schwarzen Uniformen, auf der anderen die grauen.
Gestern hatten sie einen gemeinsamen Feind, der zuschlug, ohne auf die Farbe der Uniform zu achten, dachte der Major. Aber in der letzten Nacht ist nichts passiert, und deshalb verhalten sie sich heute wie Sieger. Sowohl die SS-Leute als auch meine eigenen Männer beanspruchen den Triumph für sich. Zwischen ihnen herrschte eine natürliche Rivalität. Die Mitglieder der SS sahen sich als Elite-Soldaten, als Spezialisten für eine besondere Art der Kriegsführung, wohingegen sich die Armeeangehörigen für die eigentlichen Kämpfer hielten, die über den Ausgang von Schlachten entschieden. Zwar fürchteten sie die Bedeutung der schwarzen Uniformen, aber trotzdem sahen sie in der SS kaum mehr als eine bessere Polizeitruppe.
Schon am frühen Morgen entstanden erste Risse in der bis dahin festen Gemeinschaft. Als Katalysator fungierte die Tochter des Professors. Während sie Teller für sich und ihren Vater füllen ließ, kam es unter den Männern zu noch gutmütigem Ellenbogenstoßen: Jeder wollte der jungen Frau möglichst nahe sein. Die SS-Leute wiesen darauf hin, daß sie nur eine Jüdin war und sie ganz nach Belieben mit ihr verfahren könnten. Die Soldaten vertraten den Standpunkt, niemand könne irgendwelche
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