Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
drehte sich langsam um.
»Ich habe Fräulein Cuza gerade aufgefordert, ihre Sachen zu packen und in die Dorfherberge umzuziehen.«
Der Sturmbannführer öffnete den Mund, aber Cuza kam ihm zuvor.
»Das verbiete ich!« rief er heiser und rauh. »Ich erlaube nicht, daß Sie meine Tochter fortschicken!«
Kämpffer kniff die Augen zusammen, wandte seine Aufmerksamkeit von Wörmann ab und starrte den alten Mann an.
»Sie erlauben es nicht, Jude?« fauchte der SS-Offizier und trat auf den Professor zu. » Sie erlauben es nicht? Was fällt Ihnen eigentlich ein? Sie haben hier nichts zu befehlen oder zu verbieten.«
Der alte Mann senkte niedergeschlagen den Kopf.
Kämpffer wandte sich wieder um; er war zufrieden mit dem Resultat, das seine Schimpftirade erzielt hatte. »Sorgen Sie dafür, daß die Jüdin das Kastell so schnell wie möglich verläßt. Sie ist eine Unruhestifterin.«
Verwirrt und auch amüsiert beobachtete Wörmann, wie Kämpffer aus dem Zimmer stürmte. Dann drehte er sich um und sah Cuza an, der den Kopf hob und gar nicht mehr deprimiert wirkte.
»Warum haben Sie keine Einwände erhoben, bevor der Sturmbannführer eintraf?« fragte er. »Ich hatte den Ein druck, daß Sie damit einverstanden sind, wenn sich Ihre Tochter in der Herberge einquartiert.«
»Vielleicht. Ich hab’s mir eben anders überlegt.«
»Das ist mir nicht entgangen. Genau im richtigen Augenblick haben Sie ein recht provokatives Gebaren an den Tag gelegt. Manipulieren Sie alle Menschen so?«
»Niemand schenkt einem Krüppel mehr als nur beiläufige Beachtung, Herr Major«, erwiderte Cuza ernst. »Die Leute sehen einen schwachen Körper und glauben sofort, daß auch der Geist zu keinen besonderen Leistungen mehr fähig ist. Daher lernt man schnell, andere Personen mit bestimmten Worten zu gewissen Erkenntnissen zu verhelfen. Es ist keine Manipulation, sondern eher eine Überredungskunst.«
Magda brachte einen Koffer herein, und Wörmann begriff mit einem Anflug von Ärger, daß er ebenfalls manipuliert – oder überredet – worden war. Er wußte nun, wer die junge Frau dazu veranlaßt hatte, über den Hof zu gehen und sich sogar in den Keller zu begeben. Was soll’s? dachte er unbe kümmert. Ich bin von Anfang an gegen die Anwesenheit ei ner Frau in der Feste gewesen.
»Ich werde Sie in der Herberge nicht überwachen lassen«, sagte er der Tochter des Professors. »Ich brauche wohl kaum darauf hinzuweisen, was mit Ihrem Vater geschieht, wenn Sie sich aus dem Staub machen.«
Er ließ unerwähnt, daß ein entsprechender Wachdienst zu neuerlichen Auseinandersetzungen bei den Soldaten geführt hätte. Die Stationierung im Dorf hätte ihnen gleich zwei Vorteile gebracht: Sie wären nicht mehr dem Unheil im Kastell ausgesetzt und könnten gleichzeitig die Gesellschaft einer attraktiven jungen Dame genießen.
Vater und Tochter wechselten einen kurzen Blick.
»Seien Sie unbesorgt, Herr Major«, sagte Magda. »Es liegt nicht in meiner Absicht, meinen Vater im Stich zu lassen.«
Wörmann bemerkte, daß der Professor die Fäuste ballte.
»Nimm das hier mit«, sagte er und reichte ihr das Al Azif. »Lies es heute abend, damit wir morgen darüber sprechen können.«
Magdas Lächeln wirkte fast schelmisch. »Du weißt doch, daß ich kein Arabisch verstehe, Vater.« Sie nahm ein anderes, dünneres Buch zur Hand. »Ich befasse mich mit diesem hier.«
Ein weiterer Blickkontakt. Auf der einen Seite Sturheit, auf der anderen eine stumme Bitte. Wörmann ahnte, worum es ihnen ging.
Magda ging wortlos um den Tisch herum, hauchte ihrem Vater einen Kuß auf die Wange und strich ihm über das strähnige weiße Haar. Dann richtete sie sich auf und sah Wörmann an.
»Geben Sie auf ihn acht, Herr Major. Ich habe nur ihn.«
»Selbstverständlich«, erwiderte Wörmann instinktiv. »Ich kümmere mich um alles.«
Er verfluchte sich selbst und bedauerte es, diese Worte ausgesprochen zu haben. Sie standen im krassen Widerspruch zu seiner Aufgabe als deutscher Offizier. Doch der sorgenvolle Ausdruck in Magdas Augen, als sie die Bitte an ihn richtete … Es rührte ihn, wie sehr sie an ihrem Vater hing. Er wünschte sich fast eine Tochter, die so dachte und fühlte wie sie.
Nein, ich brauche wirklich nicht zu befürchten, daß sie davonläuft. Aber ihr Vater … Er ist schlau. Bei ihm sollte ich auf alles gefaßt sein. Wörmann nahm sich vor, besondere Wachsamkeit walten zu lassen.
Der rothaarige Mann ritt in vollem Galopp durch die Vorberge
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