Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Professor seinen Forschungen überlassen.«
Kämpffer legte die Hände auf den Rücken, schob trotzig das Kinn vor und stolzierte aus dem Zimmer. Wörmann musterte den alten Mann und seine Tochter noch einmal, bevor er ebenfalls den Raum verließ. Sie verheimlichten irgend etwas. Geht es dabei um das Kastell oder um den Mörder, der hier umherschleicht? Es spielte eigentlich keine Rolle. Sollten sie ihr Geheimnis hüten, solange keine weiteren Soldaten getötet wurden. Wörmann war sich nicht einmal sicher, ob er Bescheid wissen wollte. Aber wenn der oder das Unbekannte erneut zuschlägt, werde ich Theodor Cuza zur Rede stellen.
Professor Cuza schob das Buch beiseite, als sich die Tür hinter dem Wehrmacht-Major schloß. Nachdenklich rieb er sich die kalten Finger.
Am Morgen war es besonders schlimm. Dann tat ihm alles weh, am meisten die Finger. Jedes einzelne Gelenk erinnerte ihn an ein rostiges Scharnier, das sich nur mit Mühe bewegen ließ und ihm schier unerträgliche Schmerzen verursachte. Erwachen, mühsam aufstehen und im Rollstuhl Platz nehmen – eine Routine, die zur Tortur geworden war; das Feuer brannte in seinen Hüften, in den Knien und Handgelenken, den Ellenbogen und Schultern. Erst später, nach zwei Tabletten und einer Kodein-Dosis – vorausgesetzt, dieses Präparat stand ihm zur Verfügung –, wich der Schmerz aus seinem gemarterten Leib. Theodor Cuza verglich seinen Körper inzwischen mit einem Uhrwerk, das draußen im Regen gelegen hatte und dabei irreparabel geschädigt worden war.
Zum Beispiel war sein Mund ständig trocken. Die Erklärung der Ärzte lautete: »Es ist nicht ungewöhnlich für sklerodermische Patienten, daß es bei ihnen zu einer drastischen Reduzierung der Speichelsekretionen kommt.« Oh, sie sprachen ganz sachlich und ruhig über solche Dinge. Kein Wunder: sie brauchten auch nicht mit einer Zunge zu leben, die sich wie ein Gipsbrocken anfühlte. Theodor hatte ständig ein Glas Wasser griffbereit. Wenn er nicht in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Flüssigkeit zu sich nahm, klang seine Stimme wie ein Reibeisen.
Auch das Schlucken bereitete ihm große Mühe. Es dauerte eine Weile, bis das Wasser den Magen erreichte, und feste Nahrung mußte er so lange kauen, bis die Kiefermuskeln schmerzten. Er konnte dann nur hoffen, daß die Brocken nicht irgendwo in der Speiseröhre steckenblieben.
Was für ein elendes Leben! Er hatte oft mit dem Gedanken gespielt, seinem Leben ein Ende zu setzen, jedoch keinen einzigen solchen Versuch unternommen. Vielleicht fehlte es ihm an Mut. Vielleicht besaß er noch immer einen zu stark ausgeprägten Überlebenswillen. Er wußte es nicht genau.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Vater?«
Er sah zu Magda auf. Fröstelnd stand sie neben dem Kamin und hatte die Arme über der Brust verschränkt. Sie zit terte nicht etwa vor Kälte. Der gespenstische Besucher in der vergangenen Nacht hatte sie so schockiert, daß sie kaum in der Lage gewesen war zu schlafen. Und dann die versuchte Vergewaltigung, als sie das Wasser holte …
Unzivilisierte Barbaren! gellte es in dem alten Mann. Wilde Tiere! Was gäbe ich darum, sie alle tot zu sehen! Jeden einzelnen verdammten Nazi, der die deutschen Grenzen überschreitet! Und nicht nur sie. Auch die anderen Faschisten, die im Reich blieben. Theodor Cuza sehnte sich eine Möglichkeit herbei, sie umzubringen, bevor sie ihn in ein Vernichtungslager stecken konnten. Ein Wunschtraum. Ich bin nichts weiter als ein Krüppel, ein hilfloser alter Mann, der nicht einmal seine eigene Tochter schützen kann …
Er wollte schreien, irgend etwas zertrümmern oder die Wände einstürzen lassen.
»Es geht mir gut, Magda«, sagte er schließlich. »Nicht besser und nicht schlechter als sonst. Aber ich mache mir Sorgen um dich. Die Feste ist kein Ort für Frauen.«
Sie seufzte. »Ich weiß. Aber es gibt keine Möglichkeit, das Kastell zu verlassen, bevor uns die Deutschen die Erlaubnis dazu geben. Außerdem brauchst du mich.«
»Immer die hingebungsvolle Tochter«, murmelte der Professor zärtlich. Magda war liebevoll und anhänglich, und sie zeichnete sich gleichzeitig durch einen unerschütterlich festen Willen aus. »Wie dem auch sei: Ich habe nicht über uns gesprochen, sondern über dich . Ich möchte, daß du die Feste vor Einbruch der Dunkelheit verläßt.«
»Ich bin keine Eidechse, Vater«, erwiderte sie und lächel te schief. »Ich kann nicht einfach so an den Mauern herabklettern. Oder schlägst du
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