Widersacher-Zyklus 02 - Die Gruft
kühl und geschäftsmäßig.
»Ist gestern Abend etwas passiert?«
»Das geht dich nichts an, Jack!«, schnappte sie sofort verärgert. »Wie kommst du dazu, dich in meine …«
»Hey«, unterbrach er. »Ich will doch nur wissen, ob es eine Lösegeldforderung oder einen Anruf oder sonst eine Nachricht von Grace gegeben hat! Was ist denn los mit dir?«
»Oh … Entschuldigung. Nichts. Keinerlei Nachricht. Nellie ist wirklich mit den Nerven am Ende. Hast du irgendwelche guten Nachrichten, die ich ihr überbringen kann?«
»Ich fürchte, nein.«
»Tust du irgendetwas?«
»Ja.«
»Was?«
»Detektivarbeit. Du weißt schon: Spuren nachgehen, Anhaltspunkte finden. So etwas.«
Gia antwortete darauf nicht. Ihr Schweigen war beredt genug. Und sie hatte recht, Witzeleien waren hier nicht angebracht.
»Ich habe nicht viel, wo ich ansetzen kann, Gia, aber ich tue, was immer möglich ist.«
»Ich schätze, mit mehr können wir auch nicht rechnen«, sagte sie schließlich. Ihre Stimme war so eisig wie immer in letzter Zeit.
»Wie wäre es mit Mittagessen heute?«
»Nein, Jack.«
»Dann Abendessen?«
»Jack …« Es folgte eine lange Pause, die mit einem Seufzer endete. »Lass uns das Private da raushalten, in Ordnung? Das ist rein geschäftlich. Es hat sich nichts geändert. Wenn du mit jemandem zu Abend essen willst, dann halte dich an Nellie. Vielleicht würde ich dann auch kommen, aber darauf solltest du nicht zählen. Capisce?«
»Ja.« Er hätte das Telefon am liebsten aus der Wand gerissen und aus dem Fenster geworfen. Aber er riss sich zusammen, sagte höflich »Auf Wiedersehen«, legte auf und stellte das Telefon sachte auf dem Tisch ab, wo es hingehörte.
Er zwang sich dazu, Gia aus seinen Gedanken zu verbannen. Er hatte noch zu tun.
2
Gia legte den Hörer auf die Gabel und lehnte sich an die Wand. Sie hatte sich soeben beinahe lächerlich gemacht, als Jack gefragt hatte, ob gestern Nacht etwas passiert sei. Sie stellte sich plötzlich vor, dass Jack sie und Carl in das Restaurant und von da in Carls Wohnung verfolgt hatte.
Sie hatten sich gestern zum ersten Mal geliebt. Eigentlich hätte es nicht so schnell dazu kommen sollen. Sie hatte sich geschworen, es langsam anzugehen, nichts zu überstürzen und sich zu nichts drängen zu lassen. Schließlich musste man sich nur ansehen, was mit Jack passiert war. Aber gestern Abend hatte sie ihre Meinung geändert. Seit sie Jack am Morgen gesehen hatte, hatte sich den ganzen Tag über eine Spannung in ihr aufgebaut, die sie zu ersticken drohte. Sie hatte jemanden gebraucht. Und Carl war da gewesen. Und er hatte sie wirklich gewollt.
Vorher hatte sie sein Drängen, mit ihm in seine Wohnung zu kommen, immer sachte abgelehnt. Aber gestern hatte sie zugestimmt. Alles war richtig gewesen. Die Aussicht aus seinem Fenster über die Stadt war atemberaubend, der Cognac brannte sich weich und geschmeidig ihre Kehle hinunter, das Licht in seinem Schlafzimmer war so sanft, dass es ihre Haut zum Leuchten brachte, als er sie auszog. Sie fühlte sich schön dabei.
Carl war ein guter Liebhaber, ein geduldiger, erfahrener, sanfter und zärtlicher Liebhaber.
Aber es war nichts passiert. Als er gekommen war, hatte sie zeitgleich einen Orgasmus vorgetäuscht. Sie war deswegen nicht besonders stolz auf sich, aber es war ihr in diesem Augenblick richtig erschienen. Carl hatte alles richtig gemacht. Es war nicht seine Schuld, dass sie nicht einmal in die Nähe der Entspannung gekommen war, die sie gebraucht hätte.
Es war alles Jacks Schuld.
Nachdem sie ihn gestern getroffen hatte, war sie so verkrampft gewesen, dass sie die letzte Nacht auch dann nicht hätte genießen können, wenn Carl der beste Liebhaber der Welt wäre. Und er war ganz bestimmt ein besserer Liebhaber als Jack.
Nein … das war nicht wahr. Jack war gut gewesen. Sehr gut. Es gab Zeiten, da hatten sie die ganze Nacht…
Nellies Türklingel schellte. Da Gia gerade daran vorbeikam, öffnete sie auch. Carl hatte einen Boten geschickt, um die Entwürfe abzuholen, von denen sie ihm gestern Nacht erzählt hatte. Und er brachte auch etwas für sie: einen Strauß Rosen und Chrysanthemen. Sie gab dem Boten die Entwürfe und öffnete die beigelegte Karte, sobald sie die Tür wieder geschlossen hatte. »Ich rufe dich heute Abend an.« Eine nette Geste. Carl ließ keine Gelegenheit aus. Zu schade, dass …
»Was für wunderschöne Blumen!«
Nellies Stimme riss sie aus ihren Überlegungen.
»Ja, nicht wahr?
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