Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
was diesem Kind half? Jeffy wurde immer weniger, und es schien nichts zu geben, was sie tun konnte, außer dazusitzen und ihm beim Dahinschwinden zuzusehen. Sie fühlte sich so verdammt hilflos ! So ohnmächtig! Sie war wie gelähmt. Sie wollte etwas tun, alles, nur nicht weinen.
Sie holte tief Luft und beruhigte sich wieder. Weinen löste keine Probleme – das hatte sie nach Gregs Tod gelernt.
Sie rief Charles zu Hause an. Seine Haushälterin teilte ihr mit, dass er immer noch bei der Stiftung sei. Sie versuchte es dort.
»Du musst das Medikament absetzen«, sagte er. »Hast du irgendwelche Verbesserungen festgestellt?«
»Nein. Etwas zu früh, um eine Veränderung zu sehen, meinst du nicht?«
»Vermutlich. Aber das ist jetzt eine müßige Diskussion. Bei der nächsten Dosis könnten schwerwiegendere Symptome auftreten. Am besten, du schüttest den Rest in die Toilette. Hast du Benadryl im Haus?«
In Gedanken durchforschte sie den Inhalt des Medizinschränkchens.
»Ich glaube, ja. In flüssiger Form.«
»Gut. Gib ihm zwei Teelöffel. Das hilft gegen den Juckreiz.«
»Danke, Charles.« Sie machte eine Pause, dann: »Wie geht es Alan?«
Seine Stimme bekam einen scharfen Klang. »Deinem teuren Dr. Bulmer geht es gut. Besser als mir jedenfalls.«
Seine Stimme klang seltsam … angespannt … Charles zeigte fast niemals Gefühle. Sie war beunruhigt.
»Stimmt etwas nicht?«
»Doch.« Ein müdes Seufzen. »Alles ist in Ordnung. Wir fangen morgen früh mit den Untersuchungen an.«
»Du wirst ihm nicht wehtun, oder?«
»Jesus, Sylvia, es geht schon alles gut. Stelle bitte nur nicht so verdammt dämliche Fragen.«
»Ist ja gut. Tut mir leid, dass ich gefragt habe.«
»Sorry, Liebes. Ich bin hier sehr beschäftigt. Ich rufe dich später wegen Jeffy an.«
Er entschuldigte sich damit, dass er Berichte überprüfen müsse, und verabschiedete sich. Sylvia stand da und hielt den Hörer in der Hand. Charles war aufgebracht wegen irgendetwas. Das war nicht gut. Aber Charles klang auch unentschlossen … fast unsicher. Und das war besorgniserregend.
Sie legte auf und suchte das Benadryl. Das Haus schien so leer, als sie über den Flur zum Medizinschrank ging. Alan war zwar nur drei Tage und Nächte hier gewesen, aber er hatte Toad Hall mit Leben erfüllt, wie sie es nicht gekannt hatte, seit sie hier wohnte. Jetzt, wo er wieder weg war, schien es noch verlassener.
Nach all diesen Jahren war es so seltsam, jemanden zu vermissen.
Sie hatte gerade Jeffy mit dem Antihistamin versorgt, als das Telefon klingelte. Ihr Herz schlug schneller, als sie die Stimme erkannte.
»Ein einsamer Frosch möchte Mrs Toad sprechen.«
»Alan!«
Er erzählte ihr von Mr K., wie er ihn geheilt und wie Charles reagiert hatte.
»Kein Wunder, dass Charles so komisch war!«
»Aber du klingst auch nicht gerade ruhig.«
Sie wollte ihn nicht mit ihren Problemen belasten, aber sie musste es ihm erzählen.
»Wegen Jeffy. Er verträgt das neue Medikament nicht.«
»Oh, das tut mir leid. Aber schau«, sagte er, und seine Stimme wurde lebhafter, »wenn ich hier raus bin, werden wir alles über diese Gabe wissen. Darf ich sie dann an Jeffy versuchen?«
Sie fühlte plötzlich, wie sich jeder Muskel in ihrem Körper verkrampfte. Sollte es wirklich eine Möglichkeit geben?
»Alan – wird es funktionieren?«
»Ich weiß nicht. Sie scheint aber alles andere zu heilen. Warum nicht auch Autismus?«
Gott, wenn ich das nur für eine Minute lang glauben könnte, für eine Sekunde.
»Sylvia? Bist du noch da?«
Sie holte Luft. »Ja, Alan. Komm schnell nach Hause! Bitte!«
»Ich bin schon auf dem Weg.«
Sie lachte, und sie fühlte sich etwas gelöster. »Warte, bis sie mit dir fertig sind.«
»Gute Nacht, Mrs Toad.«
»Gute Nacht, Alan.«
Sie legte den Hörer auf und ging zu Jeff y hinüber. Sie nahm ihn in die Arme, drückte ihn fest an sich und schenkte seinen Bestrebungen, sich zu befreien, keine Beachtung. Bestrebungen, die so unpersönlich waren wie das Zappeln von jemandem, der sich im Tiefschlaf seiner Bettdecke entledigt.
»Oh Jeffy, es wird alles gut werden. Ich kann fühlen, dass es so ist.«
Und das war wirklich so. Die bittere Mutlosigkeit von vor ein paar Minuten war verschwunden. Sie würde sich davon nicht mitreißen lassen, aber sie hatte das Gefühl, dass sie irgendwo hinter der nächsten Kurve das Licht erspähen könnte, das angeblich am Ende jedes Tunnels auf einen wartet.
38. Alan
So fühlt man sich also als
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