Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
distinguierter. Und er hatte eine Figur, wie sie sie bei Männern mochte, groß und schlank, mit durchdringenden, dunkelbraunen Augen …
»Dir fehlt nichts, Jeff«, sagte Alan, als er ihn aufsetzte. »Aber du wirst pummelig.« Er setzte sich zu ihm auf den Tisch, legte in einer beiläufigen Geste der Zuneigung sei nen Arm um Jeffys Schulter und wandte sich dann Sylvia zu. »Er hat eine Menge Luft im Bauch. Isst er hastig?«
»Er futtert wie ein Scheunendrescher.«
»Sehen Sie zu, dass er langsamer isst.«
»Das ist leichter gesagt als getan.«
»Er sollte entweder weniger essen oder sich mehr bewegen.«
»Ich kann ihn ja mal im Sportverein anmelden«, sagte sie mit einem Anflug von Schroffheit in ihrer Stimme.
Alan zuckte bei ihrem Sarkasmus zusammen und seufzte. »Ja, ich weiß. ›Das ist leichter gesagt als getan‹.«
Das war auch etwas, was sie an Alan mochte – sie verstanden sich. Nachdem sie sich jahrelang zusammen um Jeffy gekümmert hatten, wussten sie, wie es um die wenigen Fortschritte und die vielen Rückschläge beim Leben mit einem autistischen Kind stand.
»Ich werde es versuchen«, sagte sie. »Vielleicht kann ich ihn zum Spazierengehen bewegen.«
»Wird er mitkommen?«
»Sicher. Solange ich ihn an die Hand nehme und Ba nicht dabei ist.«
»Ba?«
»Ba verwöhnt ihn schrecklich. Er trägt ihn die ganze Zeit. Jeffys Beine funktionieren nicht mehr, wenn Ba in der Nähe ist.«
Alan lachte. »Gut, egal, zu was sie ihn bewegen können, es wird ihm guttun.«
Sylvia zog Jeffy wieder an, während Alan etwas auf die Karteikarte kritzelte.
»Ich wollte mich noch bedanken, dass Sie letzte Nacht vorbeigekommen sind«, sagte sie, wobei sie sich an die freudige Erregung erinnerte, die sie empfand, als sie die Tür geöffnet und ihn dort gesehen hatte. »Es tut mir leid, dass es umsonst war.«
»Es war nicht umsonst. Wir haben beide besser geschlafen.«
»Was die Hausbesuche angeht: Machen Sie die auch bei einsamen Witwen?«
Sie liebte es, ihn erröten zu sehen. Er enttäuschte sie nicht.
»Um die Wahrheit zu sagen, ja. Hier in der Nähe wohnt eine kleine alte Dame, die nach einigen Schlaganfällen bettlägerig ist. Ich besuche sie einmal im Monat.«
»Und wie sieht das aus, wenn die Dame jünger ist?«
»Hängt vom Problem ab. Eine Privatwohnung ist nicht der richtige Ort, um Medizin zu praktizieren.«
Sie unterdrückte ein Lächeln. Der arme Kerl. Er gab sich solche Mühe, sachlich zu bleiben.
»Was ist, wenn sie einen Juckreiz hat, den nur Sie behandeln können?«
Er lächelte boshaft. »Dann würde ich ihr raten, ein Bad zu nehmen. Oder vielleicht eine kalte Dusche.«
Sie lachte. Sie war froh, dass er trotz seines altmodischen Sinns für Anstand und seiner fast spießigen Ehrbarkeit immer noch Sinn für Humor hatte.
»Nebenbei bemerkt«, sagte er in ihr Lachen, »gilt Ihre Einladung zur der Party am Wochenende noch?«
»Sie können es einrichten?« Sie war freudig überrascht.
»Ja, wir können es. Ich dachte, wir hätten etwas vor, aber das stimmt nicht.«
»Wie schön! Um neun. Informelle Kleidung.«
»Wir werden da sein.«
»Großartig. Ich kann Sie ja dann nach oben schmuggeln und Ihnen einige meiner erotischen japanischen Radierungen zeigen.«
Er sah sie direkt an, sein Gesichtsausdruck hatte einen leichten Anflug von Ärger. »Wissen Sie, irgendwann nehme ich Sie einfach mal beim Wort.«
Wag das ja nicht! Der Satz lag ihr auf den Lippen, aber sie unterdrückte ihn.
»Das werden wir ja sehen!«, sagte sie, öffnete die Tür des Untersuchungszimmers und schob Jeffy hinaus. »Viel Glück in Washington. Bis Samstag.«
Als sie zum Ausgang ging, überlegte sie, warum sie diesen Anflug von Panik gespürt hatte, als Alan drohte, sie beim Wort zu nehmen. Das wollte sie auf keinen Fall. Sie wusste, die Anziehung, die er auf sie ausübte, war zu einem großen Teil seiner Unerreichbarkeit geschuldet. Das unterschied ihn von so vielen anderen Männern, die sie kannte – zum Beispiel von vielen von Gregs Freunden und den Ehemännern ihrer Freundinnen, die sie nach Gregs Tod aufgesucht hatten, um ihr ›Trost‹ zu spenden. Merkwürdigerweise schien für diese Art von Trost aber immer ein Bett nötig zu sein. Das hatte ihr damals wirklich die Augen geöffnet. Sie hatte seitdem diverse Affären gehabt, aber nicht mit einem von denen.
Alan war immer für jede ihrer zahllosen Offerten taub gewesen. Und sie wusste, dass er sie attraktiv fand. Das machte dieses kleine Spiel umso
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