Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
produzierte sie einmal im Jahr eine streng limitierte Auflage von hundert Skulpturen eines ihrer Bonsais. Sie signierte und nummerierte sie und ließ sie von der Galerie für astronomische Summen verkaufen. Sie war auf das Geld nicht angewiesen, aber der hohe Preis und die begrenzte Auflage regten die Nachfrage noch mehr an. Sie bekam zahllose Angebote – äußerst großzügige Angebote – für die Originale der Bonsais, die Modell für ihre Skulpturen standen. Sie lehnte sie alle ab und weigerte sich auch nur darüber zu reden. Nur sie allein würde jemals ihre Bäume besitzen und sie pflegen. Die Kunst des Bonsai war eine zeitraubende Aufgabe, die Geschick, Fingerspitzengefühl und Hingabe erforderte – nichts für Laien.
Zum Beispiel der Ishi-Zuki. Wie könnte sie zulassen, dass jemand mit einer dicken Brieftasche, der davon aus ging, dass man die nur gießen müsse wie eine normale Zimmerpflanze, seiner Zugehfrau diese Aufgabe überließe? Vor allem so etwas wie diesen Baum. Das Blattwerk war in die Form eines kleinen Fischerhauses gestutzt worden, das auf einem sanft geschwungenen Stamm lastete, dessen Wurzeln den stützenden Stein eng umschlossen. Dieser Baum sprach zu ihr. Es war undenkbar, ihn zu verkaufen.
Aber sie hatte nichts dagegen, Kopien davon an Leute zu verkaufen, die Schlange standen, um diese Kopien zu erwerben.
Und das machte sie zu jemandem, den man kennen musste.
Sylvia wusste, dass sie nicht wirklich in den Kreis der Berühmtheiten passte, die ihre Skulpturen kauften, die sich mit ihr treffen wollten und die sie zu ihren Partys einluden. Manchmal schien es ihr, dass sie nirgendwo hineinpasste. Aber sie nahm die Einladungen an und hielt so flüchtigen Kontakt zu den Reichen und Berühmten. Sie hielt sich am Rand, sah zu und wartete darauf, dass etwas Interessantes passierte. Sie brauchte sie, um manche ihrer Nächte auszufüllen. Die Nächte konnten schrecklich sein. Jeffy, ihre Bäume und ihre Börsengeschäfte füllten die Tage aus, aber die Nächte zogen sich endlos hin.
Die letzte Nacht war jedoch eine Ausnahme gewesen. Sie hatte sich als zu kurz erwiesen. Alans Gegenwart hatte eine besondere Art von Leben in dem alten Haus entfacht, es gewärmt und erleuchtet. Sie könnte sich leicht daran gewöhnen, dass er jede Nacht zu ihr nach Hause käme, dass sie ihm einen Begrüßungskuss gäbe und er sie berührte …
Irritiert schüttelte sie den Gedanken ab. Es hatte keinen Sinn, sich in diesem Fantasiegebilde zu verlieren. Sie hatte einmal so ein Leben geführt, in einer winzigen Reihenhauswohnung in der Stadt.
Sie riss sich zusammen. Sie hatte schon seit Jahren nicht mehr an diese Wohnung gedacht. Diese Erinnerungen rührte sie aus gutem Grund nicht an. Dieses Leben und diese Sylvia Nash und diesen Mann gab es nicht mehr. Der Mann war tot und die Sylvia Nash von heute wollte oder brauchte dieses Leben nicht mehr. Sie hatte sich von Grund auf ein neues Leben aufgebaut. Die alte Sylvia gab es nicht mehr. Die würde niemals zurückkommen.
Abgesehen davon war Alan Bulmer verheiratet.
Trotzdem war es eine angenehme Vorstellung, an der niemand etwas aussetzen konnte, solange sie nur das blieb.
Und außerdem, dachte sie mit einem sarkastischen Grinsen, musste sie ja auch auf ihren Ruf achten.
Sie ging zurück in die Küche. Jeffy saß immer noch am Tisch und kratzte auf dem Boden seiner Schüssel herum. Sie nahm sie ihm weg und stellte ihm dafür ein Glas Milch hin.
»Okay, Junge«, sagte sie und fuhr mit ihren Fingern leicht über sein lockiges Haar, als er die Milch in großen Schlucken trank. »Wir machen dich jetzt sauber, und dann gehen wir zu Dr. Bulmer, bevor es in seiner Praxis zu voll wird.«
Jeffy sah sie nicht an. Er hatte seine Milch ausgetrunken und war damit beschäftigt, auf den Grund des Glases zu starren.
»Eines Tages wirst du mit mir sprechen, Jeffy. Du weißt es jetzt noch nicht, aber eines Tages wirst du ›Mama‹ zu mir sagen.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Wie konnte ihr jemand so viel bedeuten, der nicht einmal ihre Existenz wahrnahm?
»Du wirst es, verdammt noch mal. Du wirst!«
In dem modernen, hellen Wartezimmer drängten sich Menschen aller Altersgruppen, Farben und Größen. Die Sprechstundenhilfe sagte ihr, dass Dr. Bulmer Jeffy bereits vorgemerkt hatte und dass sie nicht lange warten müssten. Zwei der Kinder im Wartezimmer hatten beim Anblick von Ba vor Schreck zu weinen begonnen, deshalb war er zum Auto zurückgegangen. Sylvia setzte sich
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