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Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Titel: Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmy Abrahamson
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alles erklären.
    »Interessant.«
    Ich nicke, als sähe ich das ganz genauso. Es ist mir vollkommen schleierhaft, wie ich in so kurzer Zeit so viel vermasseln konnte. Dann kommt ein Junge mit einer dänischen Fahne auf uns zu.
    »Ola, wir müssen los!«
    Ola Olsson dreht sich noch einmal zu mir um und lächelt entschuldigend.
    »Ich muss. Aber wir sehen uns vielleicht später?«
    »Ja, klar!«, antworte ich viel zu laut.
    Ola Olsson schließt sich den anderen Fahnenträgern an und ist bald nicht mehr zu sehen.
    »Wer war das?«, fragt Sylwia.
    »Ein Klassenkamerad«, antworte ich.
    »Der sah so was von gut aus«, sagt Celestyna verträumt.
    Plötzlich geht ein Raunen durchs Publikum, das Zeichen, dass gleich etwas Großes passieren wird. Der Kinderchor hört auf zu singen, und stattdessen kommen Männer und Jungen in weißen Mänteln auf die Bühne, während schwere Orgelmusik aus den Lautsprechern donnert. Ein Bischof beginnt, eine Rede zu halten, von der ich kein Wort verstehe, weil ich nicht aufhören kann, an Ola Olsson zu denken.
    Dann applaudieren alle, und der Papst kommt aus dem Schloss und betritt die Bühne. Er ist ganz in Weiß gekleidet und winkt mit fröhlich blinzelnden Augen der jubelnden Menge zu.
    Plötzlich packt Sylwia mich mit einer ihrer Krallenhände und beginnt, mich und Celestyna durch die Menge zu zerren. Sie will näher an die Bühne heran. Die Menschen, an denen wir uns vorbeidrängen, protestieren lautstark gegen unseren brutalen Durchmarsch, und kurz vor den Bänken vor der Bühne werden wir von einem Polizisten angehalten. Mir ist Sylwias Auftritt so peinlich, dass ich beschließe, diesmal wirklich zu sterben, hier und jetzt.
    »Bitte bleiben Sie hinter dieser Linie!«, sagt der Gesetzeshüter.
    Vorne am Mikrofon beginnt der Papst, die heilige Messe zu lesen. Alle stehen andächtig und still. Nur Sylwia nicht.
    »Warum können wir nicht weitergehen?«, fragt sie mich.
    »Weil es verboten ist«, flüstere ich.
    Als Sylwia sich dem Polizisten zuwendet, sehe ich in ihrenAugen denselben aufrührerischen Trotz wie bei Mutter, wenn sie es mit der Obrigkeit zu tun bekommt.
    »I am Polish« , sagt Sylwia, das heißt, sie schreit es beinahe. Immer mehr Menschen schauen uns an und wollen uns zur Ruhe ermahnen.
    »Please« , sagt der Polizist. » Y ou have to stay behind this line.«
    Der Polizist versucht, Sylwia etwas weiter nach hinten zu schieben. Sylwias Blick wird davon nur noch wilder.
    »I am Polish!« , wiederholt sie noch lauter als zuvor.
    Neben mir fängt Celestyna an zu weinen. Und plötzlich taucht Sylwia blitzschnell unter dem Arm des Polizisten durch und rennt in Richtung Bühne. Sie rennt, aber kurz bevor sie bei der Bühne ankommt, sieht sie Johannes Paul  II. das Kreuzzeichen machen. Wie vom Heiligen Geist getroffen, fällt Sylwia auf die Knie und beginnt zu beten. Zwei Sicherheitsbeamte in Zivil laufen nach vorn, heben sie hoch und tragen sie weg. Der Papst, der alles gesehen hat, schenkt Sylwia ein freundliches Lächeln, bevor er mit der Messe fortfährt. Vielleicht war es aber auch ein dankbares Lächeln an die Adresse der zwei Sicherheitsbeamten.
    Ich packe Celestyna und zerre sie durch die Menge, diesmal in die andere Richtung. Wir müssen weg von hier. Sofort.
    Zwei Stunden später ist die Messe zu Ende. Der Papst hat mehrere Jugendliche auf die Bühne gebeten und ihnen die Hand geschüttelt, dazu hat er gleich neben dem Schloss ein mickriges Bäumchen gepflanzt. Ich bin froh, dass alles vorbei ist.
    Ich sitze allein auf einer kleinen Anhöhe. Von weit oben hört man dumpfes Gewitterdonnern. Ich habe Sylwia und Celestyna verloren, aber ich mag sie nicht suchen.
    Erst als fast alle weg sind und man nur noch ein paar Putzleute herumgeistern sieht, stehe ich auf, um mich um meine verlorene – und jetzt erwiesenermaßen verrückte – polnische Verwandtschaft zu kümmern. Die ersten schweren Regentropfen fallen. Weder Sylwia noch Celestyna hält sich im Nahbereich der Bühne auf, deshalb durchstreife ich das Schlossgelände. Bei dem Bäumchen, das der Papst gepflanzt hat, bleibe ich stehen. Es ist eine Esche.
    Ich war so mit Sylwia und Celestyna beschäftigt, dass ich erst jetzt, wo es still geworden ist, begreife, dass ich tatsächlich den Papst gesehen habe. Nicht lange und unter Umständen, die mir womöglich eine jahrelange Psychoanalyse und die regelmäßige Einnahme von Beruhigungsmitteln eingetragen haben, aber trotzdem.
    »Hallo, kleiner Baum!«, sage ich zu der

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