Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
auf. Ola Olsson ist nicht mehr zu sehen. Ich lasse den Baum los und laufe, so schnell ich kann.
7
Am Tag darauf stehen Sylwia und ich in der Zeitung. Sylwia als »fanatische Beterin«, ich als »anonyme Vandalen«. Es war schon immer mein Traum, in der Zeitung zu stehen, entweder später mal als Nobelpreisträgerin oder ein bisschen früher als Teeniegenie, das ein hundert Jahre altes mathematisches Problem gelöst hat. Geschafft habe ich es jetzt als gleich mehrere Übeltäter, die wahrscheinlich einer rechtsextremistischen oder islamistischen Terrorgruppe angehören und den Menschen von Vadstena eine große Enttäuschung und viel Kummer bereitet haben. Außerdem sei die Gemeinde gezwungen, einen neuen Baum zu pflanzen.
Ausgerechnet jetzt bittet mich Natalie, sofort zur Boutique ihrer Mutter nach Ystad zu kommen. Sie sagt, es ist megaeilig und dass Marie leider nicht kommen kann, weil sie arbeiten muss.
In der Boutique haben sie gerade mit dem Sommerschlussverkauf angefangen, und es sind so viele Menschen da, dass ich Natalie erst gar nicht finde. Fast alle Kunden der Boutique sind braun gebrannte Frauen im mittleren Alter. Dazu gibt es ein paar Männer, die wie versteinert herumstehen undmit gelangweilter Miene und hängenden Schultern vor sich hin starren.
»Alicja!«, ruft Natalie, die mit einem Stapel geblümter Kleider in den Händen auftaucht.
Ich umarme sie, dann schaut sie mich bekümmert an.
»Was ist denn mit dir?«, fragt sie. »Du bist so blass.«
»Es ist nichts. Höchstens eine Touristenallergie oder so was.«
Ich traue mich nicht zuzugeben, wie schlecht ich seit der Rückkehr aus Vadstena drauf bin. Der Durchfall, den ich habe, kommt wahrscheinlich davon, dass ich genau weiß, was mir für meine Lügen und meine schändliche Tat in Vadstena blüht: die ewige Verdammnis in der Hölle. Die andere Möglichkeit wäre, dass meine wunden Eingeweide von dem ominösen Fleisch herrühren, das Mutter uns nach der Rückkehr aufgetischt hat. Oder davon, dass ich nicht aufhören kann, an Ola Olsson zu denken.
»Also, was war jetzt so wichtig?«, frage ich Natalie. »Was ist passiert?«
»Ola«, lautet Natalies kurze Antwort. »Warte hier!«
Sie stürzt in die Ecke mit den reduzierten Sachen und hängt die geblümten Kleider auf die Stange. Wie ausgehungerte Geier stürzen sich die Frauen darauf und nesteln nach dem Preisschild. Natalie kommt zurück und zieht mich in den kleinen Pausenraum.
»Mama, ich bin gleich wieder zurück!«, ruft sie.
Natalies blonde, superschlanke Mutter hebt nur kurz die Hand und fährt, ohne den Blick zu heben, fort, Preise in die Kasse zu tippen.
In dem Pausenraum, der auch als Büro dient, ist es kühl,und an der Wand vor einem großen Schreibtisch hängen Listen mit langen Reihen von Nummern. Natalie setzt sich auf einen Bürostuhl und beginnt, in ihrer Handtasche zu wühlen.
Ich setze mich auch auf einen Stuhl und frage mich, ob ich erwähnen soll, dass ich Ola Olsson in Vadstena über den Weg gelaufen bin, oder lieber nicht. Ich könnte erzählen, dass ich jetzt nicht nur weiß, dass er katholisch ist und Pferde mag, sondern dass er in einem klatschnassen weißen T-Shirt auch wahnsinnig sexy aussieht. Das Problem ist: Wenn ich es erzähle, wird die Geschichte gleich viel wichtiger, als sie eigentlich ist. Und sie ist ja nicht wichtig. Zwei Schüler desselben Gymnasiums laufen sich irgendwo zufällig über den Weg. Das muss Natalie doch wohl nicht wissen? Das Ganze ist so unwichtig, dass ich schon wieder vergessen habe, dass es überhaupt passiert ist.
»Du hast recht«, sagt Natalie, die immer noch nicht gefunden hat, wonach sie sucht.
»Womit?«
»Ah, da!« Natalie hält einen weißen Zettel hoch, auf dem eine Telefonnummer notiert ist. »Mit Ola. Dass es lächerlich ist, wie ich mich anstelle. Ich ruf ihn jetzt an.«
»Nein!«
Natalie, die schon den Hörer vom weißen Telefon abgenommen hat, hält inne und sieht mich an.
»Wie ›nein‹?«
»Ich meine …« Ich kann den Satz nicht beenden, weil ich selbst nicht weiß, was ich sagen will. »Ich meine … vielleicht solltest du doch lieber warten? Bis ihr euch über den Weg lauft. Auf der Straße oder so. Und dann sehen, was geht?«
»Bist du sicher?«, fragt Natalie. »Weißt du, ich hab viel nachgedacht über das, was du letztes Mal gesagt hast. Darum wollte ich auch, dass du kommst. Damit du mir Mut machst, dass ich ihn anrufe.«
Ich lasse einen goldfarbenen Reißnagel auf dem Tisch kreiseln und versuche
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