Wie ausgewechselt
die Rudi & Werner gebucht werden. Eine Immobilienfirma hat das Duo Assauer und Hansch eingeladen, und 130 erwartungsfrohe Leute sind gekommen.
»Schon auf der Autofahrt zum Stadion sagte Rudi zu mir, dass er nicht gut drauf sei«, erinnert sich Werner Hansch und erzählt von jenem Abend: »Der Saal, in dem die kleine Talkrunde stattfand, hieß Schalker Markt. Noch bevor es losging, beobachtete ich, wie Rudi zu der Glasfront am Ende des Saales ging, durch die man in die Arena hinein-, auf die Ränge und auf den Rasen blicken kann. Er stand da und blickte in sein Stadion. Regungslos, teilnahmslos. Ohne Emotion. Als wäre der Körper nur eine Hülle. Dieses Bild blieb in mir hängen. Später haben wir eine Stunde die Leute unterhalten, er war wirklich nicht gut drauf. Ich musste ihm helfen, oft einspringen. Mehrmals verstand er die Fragen nicht, auch akustisch nicht. Das ist zum Teil bedingt durch eine Innenohrtaubheit auf beiden Ohren. Er gab Antworten auf Fragen, die so gar nicht gestellt worden waren. Meine Rolle war die eines Bodyguards, um ihn vor Peinlichkeiten zu bewahren. Es war unsere letzte Sitzung dieser Art. Es ging einfach nicht mehr. Die Krankheit hatte bereits zu sehr Besitz von ihm ergriffen.«
Das Absterben der Nervenzellen im Gehirn ist die Ursache jeder Demenz. Zu Beginn der Erkrankung merken die Betroffenen oft recht genau, dass etwas mit ihnen nicht stimmt und dass ihnen Fähigkeiten abhandenkommen, die man von ihnen erwartet. Das ist ihnen natürlich äußerst unangenehm und peinlich. Daher versuchen sie, ihre Einschränkungen zu verbergen, mal geschickter, mal ungeschickter.
»Man will es nicht wahrhaben. Und dann sich und den anderen etwas vorspielen. Um alles in der Welt versucht man, dem Gegenüber zu zeigen: War nur ein Aussetzer, ist doch alles in Ordnung. Ich habe einfach noch mal nachgefragt oder so getan, als hätte ich es akustisch nicht verstanden. Zeit gewinnen im Gespräch war das A und O. Immer mit der Angst, dein Gesprächspartner merkt was. Auch wenn es eine Krankheit ist, für die man nichts kann – es ist einem oberpeinlich.«
Zu Beginn der Demenz schwindet nur das Kurzzeitgedächtnis. Der Betreffende kann dann nicht mehr korrekt angeben, was er wenige Stunden zuvor beim Frühstück gegessen hat, kann aber noch recht genau Szenen der Vergangenheit, etwa bestimmte Erlebnisse aus der Jugend, schildern. Im weiteren Verlauf der Krankheit lässt dann auch das Langzeitgedächtnis immer mehr nach. Der Mensch verliert so allmählich seine Vergangenheit. Weil das, was zuletzt gelernt wurde, am geringsten im Gedächtnis verankert ist, wird es als Erstes vergessen. Das Gehirn räumt rückwärts auf, daher bleiben die Kindheitserinnerungen am längsten haften. Man erinnert sich eher an Gerüche, an Melodien, an bestimmte Orte. Demenzkranke Menschen reagieren auf Musik wie kleine Kinder, sie singen gerne, wollen tanzen.
Ausflüge ins Musical oder Theater hätte Rudi Assauer früher gegen jedes mittelmäßige Drittligaspiel eingetauscht, manche Veranstaltung war nur ein Pflichttermin. Heute hat er dagegen Spaß daran. Er geht mit, singt mit. Es sind kurze Momente der Ablenkung, der Leichtigkeit. Es sind die Momente, die er gemeinsam mit seiner Frau Britta genießen konnte. Denn die Stimmungsschwankungen Assauers bis hin zur Depression bekommen die Ärzte erst durch eine medikamentöse Behandlung in den Griff.
»Erst nach den ganzen Untersuchungen ist mir bewusst geworden, um was es da geht und was in Sachen Medikamenten in den nächsten Jahren auf mich zukommt. Ich hab doch sonst nur mal ’ne Aspirin genommen oder ’ne Magentablette, wenn’s ein Problem gab. Und plötzlich merkst du: Ja, du bist krank. Du musst diese verdammten Tabletten nehmen, täglich. Es werden immer mehr. Gegen den Verfall. Für die Birne. Sie reden mir ein: Nimm das, es hilft. Ich weiß es nicht. Ich kann nur hoffen. Ich kann nur daran glauben, dass es so ist. Abhängig zu sein von so ein paar bunten Pillen ist schrecklich. Das ist ja ein richtiger Cocktail – morgens, abends. Es soll Routine werden wie Zähneputzen. Nur der Beigeschmack ist übler. Und vergessen darf man es nicht. Wie pervers! Ich darf nicht vergessen, meine Tabletten gegen das Vergessen zu nehmen. Da wirst du ganz kirre im Kopf.«
Assauer bekommt Antidepressiva, Mittel gegen die Aggressionsschübe, Tabletten, die den natürlichen Schlafrhythmus unterstützen, und Aufbaupräparate für die Leistung des Gehirns. Die beiden erstgenannten Mittel
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