Wie ausgewechselt
sind notwendig, da Patienten wie Assauer in bestimmten Momenten zornig werden, unbegründet böse. Selbst gegenüber den Leuten, die sich um sie kümmern. Dazu können mitunter sehr abrupte Stimmungswechsel ohne ersichtlichen Grund kommen. Man spricht dabei von einer psychischen Labilität. Eine Folge der Demenz kann bei manchen Patienten auch die extrem misstrauische Haltung gegenüber ihrer Umgebung sein. Was auf Assauer nicht zutrifft. Im Gegenteil. »Mein Vater war früher gefühlsfeige, ist Konflikten generell gerne aus dem Weg gegangen«, beschreibt ihn Tochter Bettina, »er war immer hart zu sich, seinen Mitmenschen, seiner Familie. Knallhart im Job, zielstrebig, diszipliniert. Nun, durch die Krankheit, hat er sich geöffnet. Er sorgt sich, ist feinfühliger geworden.«
Die Sorgen sind eine Ausprägung der Unruhe, die quälend intensiv wird bei Alzheimerpatienten. »Mein Vater kann nicht mehr lange allein sein, nur ganz kurz. Aber dann fängt er an, mich zu suchen«, erzählt seine Tochter. Viele Patienten scheinen tagsüber ununterbrochen in Bewegung zu sein. Der Grund: Das Zeitgefühl ist nicht mehr intakt, der Tag-und-Nacht-Rhythmus ist völlig gestört. Der Erkrankte kann oft nicht ruhig sitzen, die innere Unruhe macht ihn zum Tiger im Käfig. Hin und her, von Zimmer zu Zimmer, rauf und runter, von Stockwerk zu Stockwerk. Kümmert sich Tochter Bettina, muss sie immer mal wieder schauen, wo ihr Vater gerade ist, was er macht.
Ärzte sagen, dass Alzheimerpatienten in solchen rastlosen Momenten auf der Suche sind nach der Erinnerung. Kilometer für Kilometer – ins Nichts. Im weiteren Verlauf der Demenz verliert der Kranke jede Beziehung zu Raum und Zeit. Viele wandern ohne Orientierung in der Nacht umher. Assauer auch. Bevor er Mittel zur Unterstützung des natürlichen Schlafrhythmus bekam, wurde er oft nachts wach, redete unzusammenhängendes Zeug, wollte – den längst verstorbenen – Stan Libuda suchen oder zog sich plötzlich an. Einmal setzte er sich sogar ins Auto und fuhr davon. Mitten in der Nacht wollte er ins Büro.
»Ich bekomme davon nichts mit. Wenn meine Angehörigen mir am nächsten Morgen erzählen, ich habe dies und das gemacht, dann sage ich: ›Seid ihr bekloppt? Was soll denn da gewesen sein? Da war nichts!‹ Ich bin dann fest davon überzeugt, dass das nicht stimmt, was sie mir sagen. Aber mittlerweile denke ich, dass es wohl doch so passiert ist. Das fühlt sich an, als wäre ich auf dem falschen Planeten unterwegs.«
Auch vor der Bewegungssteuerung macht der Hirnabbau nicht halt. Komplizierte Bewegungsabläufe gelingen daher nicht mehr, und technische Geräte wie Handys zum Beispiel bereiten zunehmend Probleme.
»Ich war einer der Letzten in der Branche, der sich überhaupt auf so ein Dingens eingelassen hat. Mein Credo war immer: Wer mich sprechen will, weiß, wo er mich erreichen kann. Dafür gibt es doch eine Büronummer. Aber irgendwann ging es eben nicht mehr ohne.«
Und jetzt nicht mehr mit. Die Familie hat ihm sein Mobiltelefon abgenommen, denn er hat sich zu oft vertippt oder nachts aus Versehen irgendwelche Leute angerufen. Zunächst hatte ihm seine Familie nur das Register mit den gespeicherten Nummern gelöscht. Das Handy, früher sein wichtigstes Arbeitsmittel als Manager, wird plötzlich zum ungenutzten, toten Instrument – als wäre es ein Symbol der Krankheit.
Autofahren? Funktioniert nicht mehr. Die Motorik, jahrzehntelang selbstverständliche Routine, sie will einfach nicht mehr. Es ist daher zu gefährlich geworden. Einmal blieb er in Gelsenkirchen mit seinem Wagen mitten auf der Straße stehen, weil er falsch getankt hatte. Hatte einfach nicht mehr gewusst: Super? Benzin oder Diesel? Für die Familie ein Alarmsignal. Rudi Assauer ist von da an nur noch Beifahrer.
Durch die medikamentöse Behandlung, die liebevolle Betreuung und die Therapie in der Memory Clinic in Essen soll das Fortschreiten der Demenz bei Assauer gestoppt beziehungsweise verzögert werden. Allerdings gibt es trotz intensiver Forschung bis heute keinen Durchbruch für einen Weg, die Krankheit zu heilen.
»Ja, es gibt Tage, da habe ich das Gefühl, es hat sich nichts Großartiges geändert. Da ist es nicht schlechter geworden, das ist schon mal positiv. Es könnte schlimmer sein, denke ich mir dann. Wenn ich tagsüber viel unterwegs bin und Termine habe, sitze ich abends zu Hause und rekapituliere: Du hast das und das gemacht. Es gibt aber auch andere, schlechte Tage, da kriege ich
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