Wie ausgewechselt
wie man möchte.«
Assauers Nichte Dagmar, Tochter seines Bruders Lothar, gibt Frau Söldner den Tipp, einen Termin zur Untersuchung in der Essener Memory Clinic zu vereinbaren. Die Sekretärin fasst sich daraufhin ein Herz und informiert Katy, die jüngere seiner beiden Töchter. Im Januar 2010 fährt Katy dann mit ihrem Vater in die Klinik nach Essen-Borbeck. Nach der ersten Untersuchung und ein paar weiteren Sitzungen kommt es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden, der Kontakt bricht ab. Von nun an kümmern sich Bettina, die ältere Tochter, und seine damalige Partnerin Britta. Im Sommer 2010 nimmt Assauer die Therapie in der Memory Clinic wieder auf, regelmäßige Sitzungen folgen.
Die ambulante Beratungsstelle des Elisabeth-Krankenhauses besteht seit April 1991. Klinikleiter Professor Hans Georg Nehen, Nervenarzt Dr. Johannes Haseke, Pädagoge Dr. Hartmut Fahnenstich sowie Sozialpädagoge Carsten Brandenberg behandeln die Patienten in der Gedächtnisambulanz, steuern die medikamentöse und soziale Betreuung. Es werden regelmäßige Angehörigengespräche vereinbart oder Freunde, ehemalige Weggefährten und Berufskollegen eingeladen. Der Demente kann zwar nicht mehr neu dazulernen, aber Vergangenes reaktivieren, mithilfe bestimmter Übungen und Gespräche wieder hochholen. Darüber hinaus werden banale Fragen nach dem aktuellen Jahr, dem Monat, dem Wochentag gestellt. Oder dem Aufenthaltsort, der Stadt. Einfache Rechenaufgaben aus dem Bereich des Einmaleins sind zu lösen, die Patienten sollen sich über wenige Minuten im Gespräch drei Worte merken. Ein weiterer Test, den auch Assauer gemacht hat, beginnt mit einem Blatt Papier, auf dem ein Ziffernblatt aufgemalt ist. Der Demenzkranke soll auf Zuruf eine Uhrzeit, sprich die Zeiger, einzeichnen. Assauer besteht einige der Tests nur mit Mühe. Die meisten Aufgaben löst er gar nicht.
»Die Leute dort in der Klinik sind gut, echt kompetent. Alle schwer in Ordnung. Ich weiß, dass die mir helfen wollen. Ich denke laufend daran, an diese Scheiße. Das macht mich ganz fertig. Mensch, dies oder jenes – das habe ich doch alles noch im Kopf gehabt. Wenn ich in einer Situation nicht auf einen bestimmten Namen komme, da werde ich bekloppt.«
Einer, dem gegenüber Rudi Assauer sich im Jahr 2011 offenbart hat, ist Werner Hansch, über Jahrzehnte als Hörfunkreporter und TV-Kommentator die Fußballstimme des Reviers. Als Assauer in den 80er-Jahren erstmals Schalke-Manager ist, lernen sie sich kennen und bald auch schätzen. Hansch wird im Laufe der Zeit zu einem der engsten Freunde Assauers. Gemeinsam treten sie einige Jahre hier und da bei Firmenevents als Duo »Rudi & Werner – der Fußballtalk« auf, zu buchen über eine Agentur.
»Firmen haben das für einen speziellen Abend als Entertainfaktor genutzt, damit es insgesamt nicht so trocken ist«, erzählt Hansch, »wir hatten unsere Rollen. Ich war der Fragesteller, musste oft den Unwissenden geben – Rudi war der Experte, derjenige, der Ahnung hat. Manchmal haben wir auch ein kleines Streitgespräch initiiert. Die Leute hatten ihren Spaß – wir auch.«
Am 3. Februar 2011 folgt das Duo einer Einladung vom Lions-Club in Borken zum traditionellen Moosdinner, einer Wohltätigkeitsveranstaltung – die Anreise zahlen sie selbst. Das Thema des Abends lautet: »Fußball und Wirtschaft – zwei Seiten einer Medaille?« Im Rittersaal des Schlosses Raesfeld bleibt kein Platz an den 13 Tischen frei. Serviert wird »Moos«, Grünkohl mit Pinkel, einer Mettwurst.
Hansch erinnert sich an den Abend, der sehr traurig für ihn und seinen Kumpel enden sollte: »Ich bemerkte, wie unkonzentriert, teils fahrig Rudi wirkte. Seine Antworten waren manchmal bloßes Bestätigen meiner Aussagen. Er nickte einfach. Ich war mir nicht sicher, ob er mir überhaupt zugehört hatte. Auf die Frage, ob die Preisspirale in Sachen Gehältern und Ablösesummen im Profifußball eigentlich unendlich sei, antwortete er eher teilnahmslos: ›Ja, die Schraube ist im Moment unendlich. Wenn ich sehe, wie viel Geld hin und hergeschoben wird, da hat sich manches geändert.‹ Ich versuchte, die Situation zu retten. Machte einen Witz, riss die Gesprächsführung an mich. Denn ich hatte schon so eine Ahnung, dass etwas nicht stimmte mit ihm. Er konnte sich an immer weniger erinnern, vergaß Namen, Daten, Anekdoten.«
Als sie nach Hause fahren, schweigen sie im Auto. Es liegt etwas Unausgesprochenes in der Luft. In der Einfahrt vor Assauers Haus
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