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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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und schmeckt nach Paprika. In der Wohnung stehen blumenverzierte Schränke und Kommoden, eine große Jugendstil-Lampe, ein Schreibpult aus dunklem Holz, darüber Titos Porträt. Notenbücher und Schallplatten in Regalen, auf dem Boden, überall. In der Ecke das Klavier, daneben ein Grammofon. Ich sehe wieder zu Herrn Popović, er hat die Augen zusammengekniffen und streckt mir die Hand entgegen. Professor Petar Popović, und Sie sind?
    Bitte?
    Frau Popović räuspert sich. Petar, sagt sie, das ist Aleksandar, Slavkos Enkelsohn.
    Slavko Krsmanović?, ruft Herr Popović und seine Gesichtszüge erhellen sich, das ist ja eine schöne Überraschung! Sie haben sich ganz schön verändert, Aleksandar! Wissen Sie, Ihr Großvater kam häufig mit Ihnen bei uns vorbei. Wir verstanden uns sehr gut, der Višegrader Cicero und ich. Sie waren da gerade mal … also ich schätze Sie höchstens auf … Herr Popović wird erneut nachdenklich, legt die Hand unter das Kinn. Ich sehe zu seiner Frau, die immer noch lächelt. Es fällt dir ein, Petar, sagt sie leise, es fällt dir ein, nur langsam.
    Herr Popović zieht die Augenbrauen zusammen. Lena, sagt er zu seiner Frau, wer ist der Herr?
    Aleksandar Krsmanović, übernehme ich dieses Mal, stehe auf und gebe dem alten Mann im grauen Pullunder und mit den akkurat gescheitelten Haaren ein weiteres Mal die Hand. Ich besuche meine Großmutter. Sie haben mir einmal ein Musiklexikon zum Geburtstag geschenkt.
    Herr Popović lacht, steht ebenfalls auf und nimmt meine Hand herzlich fest zwischen seine beiden. Natürlich, ruft er, das Lexikon der Weltmusik! Sie sind Slavkos Enkelsohn! Setzen Sie sich doch, setzen Sie sich, Lena, holst du uns bitte Bier, Sie trinken doch Bier?

    Gern, sage ich, und Herr Popović blickt mich freundlich an, ein lächelnder Herr zwischen Schallplatten und Notenbüchern. Opa Slavko hatte immer sein Klavierspiel gelobt und ihn als den einzig wahren Intellektuellen der Stadt bezeichnet. Nachdem seine Frau in der Küche verschwunden ist, drückt Herr Popović meine Hand fester und flüstert vertraulich: mein ganzes Leben lang gehe ich mit der Schönheit und der Liebenswürdigkeit meiner Frau so leichtsinnig um wie sonst nur mit der Geschichte und dem Tod.
    Herr Popović trinkt einen Schluck Wasser und betrachtet sein Glas aus nächster Nähe, es beschlägt. Herr Popović knöpft die Hemdsärmel auf. Sind nicht echt, sagt er und zeigt auf die goldenen Manschettenknöpfe mit silbernem Violinschlüssel.
    Seine schöne Liebenswürdige kommt mit den Bieren zurück ins Wohnzimmer und sieht gerade noch, wie mir ihr Mann die Hand entgegenstreckt und sagt: Petar Popović, mit wem habe ich die Ehre?
    Nachdem ich mich vorgestellt habe, steht er auf. Etwas Musik, Herr Krsmanović?, fragt er und küsst im Vorbeigehen seine Frau. Bach? Sie kommen mir vor, als würden Sie Johann Sebastian zu schätzen wissen, den hierzulande Unterschätzten. »Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn«, schlägt er vor. Ich bin erfreut, singt er, das Elend dieser Zeit noch von mir heute abzulegen. Pam-ta-tam, singt er, und bleibt vor dem Grammofon stehen, und steht da.
    Vielleicht ist es besser so, sagt Frau Popović und nimmt einen Schluck Bier aus der Flasche, man kann sich vor der Erinnerung verstecken und lässt sich von dieser abscheulichen Gegenwart nicht Tag um Tag ohrfeigen.
    Herr Popović wendet sich vom Grammofon ab und geht zum Bücherregal. Nach kurzem Überlegen holt er eines der Notenbücher heraus und blättert darin, als suche er eine bestimmte Stelle, pam-ta-tam, singt er.

     
    Die Strecke Zuhause – Oma Katarina: 2349 Schritte. Ich habe Listen gemacht: Schrittdistanzen. Zuhause ist auf der anderen Seite der Drina. Oma schläft noch, schnarcht klaglos, ich könnte sie wecken, um zu fragen, wer überhaupt dort wohnt, aber ich weiß nicht mehr, wie sie am liebsten geweckt wird, und es ist mir unangenehm, dass ich die Antwort auf die Frage nicht selbst weiß.
    2250 Schritte sind es heute, und auf dem Türschild heißt es: Miki. Ich stehe auf Beton, der Garten wurde betoniert, wie geht es den Regenwürmern? Ich klingle nicht. Einfach: Miki.
    Ich habe Listen gemacht. Unsere Straße. Ich laufe von Haus zu Haus, kenne diesen Balkon, kenne diese Reifenschaukel im Hof, kenne den Geschmack geklauter Mirabellen aus diesem Garten, kenne keinen einzigen Namen auf den Briefkästen bis auf Danilo Gorkis.
    Danilo und ich sitzen auf seiner Veranda, der Tisch, der Schaukelstuhl, alles noch so, wie

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