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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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besorgt das Ohr ihres Trompeters an. Ur-Opa ist aufgestanden, singt den letzten Vers –
    … samo me je jednom pogledala mrko, niti haje, alčak, što za njome crko’!
    – und tanzt: nur einen düsteren Blick hat Emina für Ur-Opa übrig, sie schert sich um seine Liebe nicht. Ur-Opa tanzt um die Tische und schnappt sich Kamenkos Pistole von meinem Vater. Er tanzt zu den Ställen und schießt so lang in den großen Misthaufen, bis aus den Schüssen Klicke werden. Mit dem Stiefel stößt er die Pistole in den Mist, bis sie verschwunden ist, drückt den Rücken durch und sagt: hachja …

     
    Es gibt für manches keine Erklärung, es gibt das Hachja; es gibt einen wütenden Kamenko auf einer winzigen Veranda in einem winzigen Dorf in den Bergen über der kleinen Stadt Višegrad; es gibt den langhaarigen Kamenko, er hält sich den schmerzenden Arm, man führt ihn von der Veranda weg, wirft seine Tarnjacke auf den Boden; es gibt einen laut atmenden Kamenko, der im Kuhmist nach seiner Pistole wühlt; es gibt den brüllenden Kamenko, jetzt wühl ich in der Scheiße, aber wenn unsere Zeit kommt, werden die Verräter Scheiße fressen! Es gibt einen Platzregen, sommerliche zwei Minuten lang, es gibt den dicken Dilettantensänger, der von Ur-Opa Nikola die doppelte Gage verlangt und sie bekommt, falls, legt Ur-Opa dem Dicken die Hand auf die Wange, falls du meine Hyazinthe morgen früh weckst mit – er flüstert ihm etwas ins Ohr. Der Hyazinthe drückt Ur-Opa einen Kuss unter die Augenklappe. Es gibt die Armee für Onkel Miki, es gab im Frühling einen Streit zwischen Sohn und Vater, zwischen Onkel und Opa, es gab ein Verbot, Miki, das ist nicht die Zeit, um in die Armee zu gehen, keine Diskussionen! Es gab mich im Nebenzimmer und Opa Slavko gibt es nicht mehr, ich erzählte niemandem von diesem Streit, man verpetzt die Familie nicht. Es gab ein Fest, es gab Drohungen, es gab eine Prügelei, es gab einen Schuss, vielleicht muss das immer so sein, wenn in die Armee gegangen wird, man ist noch gar nicht richtig dort, da kommt der Krieg schon hierher. Es gibt die Sorge, Miki könnte dorthin geschickt werden, wo nicht nur in die Misthaufen geschossen wird, es gibt den traurigen Abschied von Miki, es gibt Tränen für Miki und eine Ohrfeige für Miki, du unverschämtes Balg! Die Ohrfeige gibt es, weil der morgige Soldat sagt: Kamenko hat doch Recht, wir dürfen uns nicht alles gefallen lassen, es ist an der Zeit, dass wir den Ustaschas und den Mudschaheddin die Stirn bieten, es gibt dafür die Ohrfeige, es gibt verstohlene Blicke zu meiner Mutter und zu meiner Nena Fatima; es gibt die taubstumme Nena Fatima, die in die Runde sieht, als hätte sie jedes Wort und jede Geste und jeden Schuss verstanden: beschämt und
traurig. Es gibt ein Dazugehören und ein Nichtdazugehören, plötzlich ist die Veranda dem Schulhof gleich, auf dem mich Vukoje Wurm gefragt hat: was bist du eigentlich? Die Frage klang nach Ärger, und ich wusste die richtige Antwort nicht. Es gibt Kamenko nicht mehr auf der Veranda, er ist abgezogen, ohne seine Pistole gefunden zu haben, geblieben sind seine Drohungen. Es gibt Kamenkos Pistole, Ur-Opa zieht sie aus seinem Stiefel, alles sauber, sagt er zu Miki, aber ein ganz schöner Mist, was du da faselst; es gibt nämlich auch Scham, es gibt mich, der sich schämt, und zwar nicht weil Onkel Miki jemandem Recht gibt, der sie nicht mehr alle hat, ich schäme mich für mich selbst, weil ich es mutig finde, dass mein Onkel für seinen Freund einsteht. Es gibt aber auch die Scham, weil sich Mutter schämt und Nena Fatima wie einer Katze den Rücken streichelt; über den Tisch sagt Mutter so leise, ich glaube, Miki hört sie gar nicht: Mann, Miki, was soll das denn … Es gibt meinen Vater, der wie so oft nichts sagt, es gibt seine Gesichtsfarbe, gegen die ich Penicillin gespritzt bekäme. Es gibt die Ustaschas, es gibt das Geschichtsbuch, in dem steht, dass die Partisanen diese Ustaschas genauso niedergemacht haben wie auch die Nazis und die Tschetniks und die Mussolinis und überhaupt alle, die etwas gegen Jugoslawien und die Freiheit hatten. Es gibt auch die Mudschaheddin, sie reiten durch die Wüste und ziehen sich Bettlaken an. Es gab Vukoje Wurms Frage auf dem Schulhof, ich hielt sie für eine Drohung und die Erklärung meiner Mutter für einen Witz. Ich bin ein Gemisch. Ich bin ein Halbhalb. Ich bin Jugoslawe – ich zerfalle also. Es gab den Schulhof, der sich wunderte, wie ich so etwas Ungenaues sein konnte,

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