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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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nachdenklich den Daumen unter das Kinn und den Zeigefinger über die geschürzten Lippen und machte eine Pause, die man macht, wenn man so tut, als würde man den nächsten Satz mit »nur mal angenommen, dass« anfangen.
    Nur mal angenommen, dass Tito nicht völlig verdreckt ist, dann müssten Sie ihn gar nicht wegbringen. Wir, seine Kameraden Pioniere, sagte ich und breitete die Arme aus wie ein Volkssänger, schrubben unseren ehemaligen Präsidenten schnell auf dem Klo sauber!
    Ich konnte die Augen der gemeinten Pioniere unkameradschaftlich rollen hören und machte wieder Punkte auf der Seltsamkeitsskala, die ich sowieso uneinholbar anführte. Edin trank jeden Tag in der großen Pause ein rohes Ei, sammelte Insektenbeinchen und tanzte Ballett, war aber trotzdem weit abgeschlagen. Edin machte sogar durch sein Aussehen Punkte: schmächtig, knochig, blass, mit blauen Äderchen über den Schläfen und hervorquellenden Augäpfeln wie bei einem Pferd. Keine seiner Bewegungen war je flüssig, ich wusste gar nicht, was der beim Ballett lernte – mit eckigen Schritten huschte er an den Wänden entlang wie jemand, der aus Geheimnissen bestand, schaute links, rechts, in den Himmel, alles, weil er Agent werden wollte. Aleksandar, Frauen stehen auf 007, und ich kann jedes Geräusch nachmachen,
nur den Herzschlag nicht. Tatsächlich kamen ständig irgendwelche Laute aus dem Edinmund – selbst wenn er still hielt, hielt er nicht still, sondern pfiff und rasselte und kläffte und zwitscherte, immer so leise, dass es nicht auffiel, außer man ging mit dem Ohr ganz nah an seinen Mund heran. Wenn wir zu zweit waren, verlor er alles Verhuschte, wirkte gesünder, sprach langsamer und wusste eine Menge über Biologie und den weiblichen Körper. Zum Beispiel, dass der eine Wunde hat, die alle dreißig Tage blutet, was ganz schön gefährlich werden könnte, wenn die Erde aus irgendeinem Grund beschlösse, sich dreißigmal schneller zu drehen.
    Herr Fazlagić sah mich noch immer an. Auch die Klasse sah mich an, also wollte man, dass ich weitersprach. Titoschrubben würde auch mit dem Parteikomitee bestimmt in Ordnung gehen, wenn es das Komitee noch gäbe, sagte ich ermutigt durch die Aufmerksamkeit. Und ich frage meine Oma, ob sie uns einen ihrer Gobelins ausleihen kann, solange Herr Broz, Nicht-mehr-Genosse-Tito, vom Unterricht abwesend ist. Es gibt da einen ganz schönen mit einem Schiff im Sturm. Ist doch besser als der Fleck an der Wand.
    Vukoje Wurm, der auf seine dreimal gebrochene Nase stolz war, traf mich mit einer zusammengeknüllten Todesdrohung am Hinterkopf. Er zählte darin die Foltermethoden auf, die nach der Schule auf mich warten würden, und nannte mich Klugschajsa und Komunistenschwajn.
    Meine zusammengeknüllte Antwort verfehlte ihn knapp.
    Genau genommen hatte Tito an diesem ersten Tag des Schuljahres keinen Fleck hinterlassen. Flecken sind etwas Schmutziges, die Wand hinter Titos Rücken war aber sauber – ein weißes Rechteck, um das sich die restliche, beigefarbene Wand schloss. Den hellen Ausschnitt hatte Tito beschützt, deswegen war er sauber geblieben.
    Auch uns, seine Pioniere, hatte Tito beschützt.
    Man sagt das so, obwohl Tito sich nicht vor uns stellte und Dissidenten bruce-lee-kickte, die etwas gegen uns oder gegen den Roten Stern hatten. Er fand die Jugend fortschrittlich für
den Fortschritt und die gute Laune Jugoslawiens, er hatte sogar seinen Geburtstag auf den Tag der Jugend gelegt. Auf Fotos war er oft mit Pionieren zu sehen, er lachte und die Pioniere lachten, und unter dem Bild stand, dass Tito und die Pioniere lachten.
    Ich traf Tito ein Mal. Das zählt aber kaum, weil ich da zu sehr Säugling war, und ein Treffen, an das man sich nicht erinnert, das ist ein ziemlich kümmerliches Treffen. Tito besuchte Višegrad, und als sein weißer Mercedes ohne Dach vorbeifuhr, winkte er mir zu, behauptete Opa Slavko. Er behauptete auch, mit Tito eine Stunde lang im Hotel Višegrad über die Stilllegung der Bahnstrecke gestritten zu haben. Gegen Tito war sogar er machtlos, durch unsere Stadt fuhren bald keine Züge mehr und Opa Rafik verlor seine Arbeit.
    Wenn ich so alt bin wie Tito, habe auch ich eine weiße Limousine, in der man hinten stehen darf. Edin ist mein Fahrer, mein linientreuer Sekretär-bester-Freund und Agent, zuständig für Vogelstimmen und das Biologieministerium, weil er so viel über den Frauenkörper weiß.
    Unser gerahmter Genosse wurde gar nicht sauber gemacht. Das kapierten auch

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