Wie der Soldat das Grammofon repariert
nicht enttäuscht, sondern erschrocken aus. Sie zog sich an, malte sich vor dem Schlafzimmerspiegel die Fingernägel rot und schloss dann die Schlafzimmertür. Als sie mich zum Abschied umarmte, roch sie nach Wein. Ich zeichnete unsere Fahne mit dem fünfzackigen Stern und musste die ganze Zeit an Mutters rote Nägel denken. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Ich klopfte so lange an die Ateliertür, bis mein Vater zugab, dass er zu Hause war und versprach, Mutter mit mir abzuholen.
Im Bibliothekskeller hing die jugoslawische Fahne an einem Heizungsrohr, ein Mann mit Brille auf der Nasenspitze las laut aus einem Riesenwälzer. Das Grammofon schaltete trotzdem niemand aus. In den Käsewürfeln auf den Tellern steckten Zahnstocher, sie trugen kleine, selbstgemachte Fähnchen mit Titos Porträt. Meine Mutter tippelte mit der Hand zum Rhythmus der Musik. Sie war die einzige Frau im Raum und die einzige Person unter sechzig. Auf dem Weg von unserem Haus hierher hatte sie sich eine neue Frisur gemacht. Vater blieb am Eingang stehen und spielte mit dem Autoschlüssel. Als sie uns bemerkte, stand Mama langsam auf und griff nach ihrer Tasche. Sie verabschiedete sich von niemandem. Niemand verabschiedete sich von ihr. Jemand hustete, ein anderer stand auf und drehte die Platte um. Das war Mutters letztes Treffen. Ich konnte nicht erkennen, ob sie besonders glücklich oder besonders traurig darüber war, sie hörte einfach auf, hinzugehen, wie ich vielleicht irgendwann aufhören werde, zu wachsen. Und sie hatte auch keine neue Frisur im Bibliothekskeller. Im rauchbewölkten Licht sah meine Mutter einfach nur ganz anders aus.
Und geblieben waren auch Bilder über Bilder von Tito – in Büros, in Schaufenstern, in Wohnzimmern neben den Familienporträts, in den Schulen. Tito auf einer Yacht, Tito hinter dem Rednerpult, Tito mit einem Mädchen, das ihm Blumen überreicht. Tito Hand in Hand mit E. T. gab es als Puzzle. Als man dann die Bilder aus den Klassenräumen entfernte, starb Tito zum dritten Mal. Genosse Jelenić, genannt Fizo, blieb ein
Genosse und ließ als einziger Lehrer an diesem ersten Schultag Titos Porträt an der Wand – Admiralsuniform und Schäferhund. Fizo postierte sich grußlos hinter sein Pult, setzte die Brille auf und trug etwas in unser Klassenbuch ein. Jeder legt ein Arbeitsheft und ein Formelheft an, sagte der strengste Lehrer der Schule, ohne aufzusehen, das wird ein schwieriges Jahr.
Herr Fazlagić, Nicht-mehr-Genosse-Lehrer, entfernte damals nicht nur Titos stählerne Stirn im vergoldeten Rahmen, sondern sogar die rote Fahne aus der Glasvitrine, die bei jeder Schulparade am Kopf des Schülerzuges getragen wurde. Nach meiner Frage, ob nicht wir Pioniere Tito sauber machen könnten, begann er mit großem Ernst eine lange, ernste Rede: das ist eine ernste Angelegenheit, Aleksandar Krsmanović, und deine Ironie höchst unpassend! Ernsthafte Veränderungen im System gehen vor. Die neue Titulatur und die Beseitigung der Überbleibsel des Personenkultes sind ernst zu nehmende Bestandteile des Demokratisierungsprozesses! Die Lehrerlippen bewegten sich weiter, der Lehrermund reihte einen langen Satz an den anderen. Das Bild setzte Herr Fazlagić mehrmals ab und schüttelte seine Arme durch. Anstatt es aber stehen zu lassen, hob er es jedes Mal wieder auf und hielt es, während er weitersprach, bis zur Pause in den Händen.
Um zu zeigen, dass ich den Ernst der Angelegenheit, des Systems, der Titulatur und des Personenkultes begriffen hatte, kam ich am nächsten Tag in meiner viel zu kleinen, aber immer noch, wie ich fand, schmucken, dunkelblauen Pionieruniform zur Schule. Ich setzte mich beim Herrn Fazlagić in die erste Reihe, sozialistisch aufrecht, wie es Opa immer gefordert hatte. Sogar meine Fingernägel hatte ich mir sauber gepult, ich spreizte die Finger vor mir auf dem Tisch, wie es früher Pflicht gewesen war, als es noch den Hygiene-Aufpasser als Klassenfunktionär gegeben hatte. Bei der ersten Frage, die Herr Fazlagić der Klasse stellte, sprang ich auf und rief: betrachten wir nun das Residuum der Arbeitsprodukte.
Es ist nichts von ihnen übrig geblieben als dieselbe gespenstische Gegenständlichkeit, eine bloße Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit, das heißt der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ohne Rücksicht auf die Form ihrer Verausgabung.
Drei Stunden Nachsitzen. Drei Lehrer passten auf mich auf, ihre grimmigen Mienen hielten Vorträge über den
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