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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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die Sticheleien verunsichert. Im zweiten Spiel dämpfte er seine Schreie, prompt fielen auch seine Weitschüsse zurückhaltender aus und bereiteten Dino Zoff kein Kopfzerbrechen mehr. Wenn ein Gegenspieler in seiner Nähe aufjodelte, zuckte Mikimaus
zusammen, der Felsenkopf kippelte auf den vergleichsweise schmächtigen Schultern und die schmale Stirn furchte sich vor Gedanken. Gerne hätte Mikimaus sie geäußert, wenn man ihm nur etwas mehr Zeit gegeben hätte, aber schon verlagerte sich das Spielgeschehen auf die andere Seite und der Spötter fegte davon.
    Auch heute johlte Kozica beim Warmmachen auf die serbische Seite: ach, wie schade, dass Fräulein Graf nicht auf den Igman kommen konnte! Sie ist in Wimbledon, lässt aber Monika liebe Grüße ausrichten, das mit dem Nagellack geht klar. Uh, uh, uh, rief Kozica und seine Kameraden fielen mit ein.
    Zweimal vierzig Minuten, erste Halbzeit ein Schiedsrichter von den Territorialen, zweite ein Serbe – wenn schon beschissen wurde, dann gleichmäßig verteilt beschissen. Zwischen den Tannenpfosten am südlichen Rand der Lichtung zog Mikimaus ein Seil als Latte fest. Das andere Tor bestand aus Überresten des Zauns, der einen der beiden Karrenwege gesäumt hatte, die sich auf der Lichtung kreuzten. Der Maschendraht zwischen den Zaunlatten wurde gekappt, die Pfosten mit Brettern auf zweieinhalb Meter verlängert. Wer die Wege kontrollierte, kam am Berg schneller voran und musste sich nicht durch dichte und ungenau kartografierte Wälder schlagen, mit mehr Minen als Pilzen in der Erde. Darum ging es hier seit zwei Monaten – um zwei Karrenwege. Einer davon ging weiter unten im Tal in eine asphaltierte Straße über, die nach Sarajevo führte. In ordentlichen Zeiten zogen Fliegen ihre Quadrate über getrockneten Rinderkot, mittlerweile kam kein neuer Kot zum Trocknen hinzu. Die Rinder von den Bauern, die nicht höher ins Gebirge getrieben wurden, hatte man längst erlegt, und die Menschen vergruben ihre Scheiße. Die Fliegen kreisten jetzt über den Leichen, die nicht immer sofort unter die Erde gebracht werden konnten.
    Um 16 Uhr trafen die Mannschaften in der ungefähren Mitte des Spielfeldes aufeinander, die restlichen Soldaten ließen sich als lebende Aus-Linien in langen Reihen auf die Wiese nieder. Waffen trug niemand sichtbar, einige Gewehre lehnten
gegen Bäume. Die Spieler passten sich den Ball zum Aufwärmen schweigsam zu, die Seitenwahl gewannen die Serben.
    Etwas abseits umarmten sich Kiko und Mikimaus. Sie kannten sich aus der Schule, beide waren sie in der achten Klasse zweimal sitzen geblieben, das war ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher war es, dass jemand auch noch zweimal die erste Klasse wiederholen musste, die vierte und die sechste. Einmal, mitten in einer Matheklausur, fragte der Junge mit dem immer offenem Mund, wie man eigentlich lernte. Bei den Mitschülern galt er als stiller, gutmütiger Koloss, der auf die Frage, wann Kolumbus Amerika entdeckt hatte, aus dem Fenster sah und »Kartoffelkäfer« antwortete. Der knapp siebzehnjährige Kiko dagegen zählte zu den besten Fußballtalenten des Landes. Während er von den Vereinen der ersten Liga umworben wurde, schuftete Mikimaus Tag und Nacht auf dem Bauernhof seiner Eltern, und nichts deutete darauf hin, dass bessere Tage und bessere Nächte kommen würden.
    Und sie kamen doch – mit dem Krieg. Mikimaus fragte: wo ist der Krieg?, seine Mutter antwortete: Gott sei Dank noch weit weg, er fragte: gut, für wen sind wir?, sein Vater gab zurück: du bist Serbe. Am nächsten Tag stand Mikimaus mit einem Rucksack in der Tür, der auf seinem weiten Rücken wie ein Kosmetiktäschchen aussah. Er sagte zu seinem Vater, zu den zehn Spiegeleiern vor seinem Vater, zur hellblau befliesten Küche, zur gekerbten Tischplatte aus Kirschholz, zum staubigen Hof, zum Mistgestank aus dem Stall, zum Pflug, der ihm den Rücken so endlos mit Muskeln durchzogen hatte, zu den zahllosen Maissäcken, in die er Nacht um Nacht mit voller Wucht trat, aus Wut über den Vater, über Vaters zehn Spiegeleier jeden Morgen, über die Tischplatte, in die er seinen Namen eingeritzt hatte, als er einmal zwei Wochen unter dem Tisch hatte schlafen müssen, über den Hof, wo ihn sein Vater in den Staub warf und mit Füßen nach ihm trat, über den Mist, in dem er sein ganzes Leben watete, über den Pflug, weil er kein Ochse war: Auf Wiedersehen, ich bin jetzt weit weg, ich bin im Krieg.

    Mikimaus’ Vater kaute zu Ende, trank seinen

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