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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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ich wohne in Essen.
    Die Männer senkten die Zeitungen und sahen sich um. Ich stand hinter ihnen, Kaffeetasse in der Hand. Sie schwiegen.
    Die Jacke, sagte ich und deutete mit der Tasse auf den Mann mit dem Schnurrbart. Der andere gab Zucker in seinen Kaffee,
schlürfte vorsichtig und widmete sich wieder seiner Zeitung.
    Deutschland, Regionalliga Nord, Sonntag gegen Düsseldorf, gibt ein Unentschieden, sagte der mit der Jacke. Der Schnurrbart verdeckte seinen Mund, bewegte sich auf und ab, als kaute der Mann.
    Ich bin Aleksandar, ist da noch frei?, hörte ich mich sagen, dabei klang die tiefe Stimme unter dem Schnurrbart nicht gerade einladend.
    Wir sind die Wise Guys, sagte die Stimme und der Arm zeigte auf den freien Stuhl.
    Was heißt das?, fragte ich und setzte mich dazu.
    Dass ich Recht habe, wenn ich sage: spiel am Sonntag Unentschieden auf dein Essen gegen Düsseldorf.
    Die Wise Guys: Mesud mit Schnurrbart und Sportjacke, die ihm sein Schwiegersohn vor Jahren aus Deutschland mitgebracht hatte, und Kemo, der Diabetiker, der sich den Diabetes nicht einreden lässt. Kemo war der stillere der beiden. Er saß die meiste Zeit in Sportzeitungen vertieft, schrieb Zahlen auf und malte Kreise, Dreiecke, Blitze und wieder Zahlen daneben. Mesud führte zahllose Gespräche mit den kurzhaarigen Männern, die immer wieder an unseren Tisch traten und Dinge sagten wie: Anderlecht under?, Zidane gelbgesperrt, unentschieden?, Deportivo auswärts – Handicap zwei, was meinen Sie, Čika Mesud? Für jeden Spieler hatte der eine Antwort und einen Rat, ich konnte kein System dahinter erkennen.
    Wie oft wetten Sie?, fragte ich die Wise Guys.
    Nein, nein, hob Mesud abwehrend die Hände, wir wetten nicht, wirst ja nicht glücklich damit. Wir sind da, falls jemand den Statistiken nicht glaubt oder nicht weiterweiß, das ist alles.
    Viele wussten nicht weiter und kamen früher oder später auf einen kleinen Plausch oder mit einer Frage an unseren Tisch. Ein schüchterner Mann mit Anzug und Fliege wollte wissen, wie die Chancen stehen, dass Inter heute gewinnt.
Ich war noch nie in Mailand, sagte Mesud, Finger weg von Italien. Kemo hob den Daumen: Inter packt es.
    Der Laden wurde voller, die Spieler füllten ihre Scheine gegen die Wand aus. Musik wurde eingeschaltet, eine Frau sang davon, wie es ist, betrogen zu werden, dann sang ein Mann davon, wie es ist, zu betrügen, in beiden Liedern kamen beste Freunde vor. Vor den Spielautomaten bauten sich Lederjacken auf, schlugen auf die Knöpfe, es knallte, knallte, knallte. Der Regen hatte aufgehört, aber mir war nicht nach Gehen, ich wollte, dass man mich für einen Bekannten von Kemo und Mesud hielt. Niemand fragte mich etwas, ich setzte zehn KM auf Essen – Düsseldorf: unentschieden.
    Zwei höchstens Zehnjährige stießen mit Queues die weiße Kugel gegen die Bande. Kemo warf eine Münze für sie ein und fuhr dem kleineren der beiden durch das flachsblonde Haar. Die Kugeln rumorten im Tisch, im Teletext blinkten die ersten Live-Ergebnisse, draußen wurde es dunkel. Wir sprachen über Roter Stern, wir sprachen über die Nationalmannschaft damals und die Nationalmannschaften heute, Mesud sagte: wären wir heute ein Land, wären wir unbesiegbar. Der Flachsblonde versenkte eine Kugel nach der anderen, Benfica, schrie jemand plötzlich, sind doch Hurenböcke alles!, ein Stuhl fiel um, am Nachbartisch erzählte jemand, dass sein Cousin Husein jeden Tag mit Scheiße gefüllte Briefe an die Staatsanwaltschaft schickt, ein anderer fragte, was das an Porto kostet, dann verlor ich den Faden. Der flachsblonde Junge trank Fanta aus der Dose und traf die Zehn, die Zehn traf die Vierzehn und die Vierzehn verschwand im Loch. Ein Trainingsanzug meinte: kennt ihr den?, und ich hätte einfach warten müssen, aber ich fragte: kennen, wen?, und der Trainingsanzug erzählte einen Witz. Ich wollte alles ganz genau wissen und sofort, und wusste über nichts Bescheid.
    Mujo und Suljo gehen spazieren. Plötzlich fällt Mujo um. Suljo ruft den Notarzt an: Schnell, ich glaube Mujo ist tot! Der Notarzt: alles mit der Ruhe, vergewissern Sie sich zuerst,
ob er wirklich tot ist. Es herrscht kurz Stille, dann hört man einen Schuss. Suljo in sein Telefon: Und was jetzt?
    Der Flachsblonde deutete mit dem Queue auf die Schwarze, dann auf das Loch in der Mitte und lehnte nach dem Stoß das Queue gegen den Tresen. Sein Gegner zahlte ihm eine zweite Fanta und verließ kopfschüttelnd das Café. Seine Kugeln waren alle noch

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