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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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auf dem Tisch, Kemo nickte anerkennend, der Junge nickte ernst zurück.
    Hier wirst du zweierlei Leute finden, wandte sich Mesud zu mir: die, die alles vermissen und die, die über alles schimpfen. Ich selbst schimpfe nie über das Vermissen und werde nie das Schimpfen vermissen. Er hob die Schultern und grinste übers ganze Gesicht. Zweiundsechzig in Chile, rief er, dem Land ging es gut, und wenn es dem Land gut geht, geht es auch dem Sport nicht schlecht. Heute ist es so: scheiße hier – scheiße dort. Dann, Halbfinale gegen die Tschechen. Pele hat damals gesagt, der beste Spieler überhaupt, noch besser als er selbst, sei die Nummer Zehn von den Jugoslawen. Er hat den Namen nicht aussprechen können, umso lieber sag ich ihn: Dragoslav Šekularac!
    Mesud lehnte sich zurück und sah mich an. Der Name sagte mir nichts. Ich nickte, sagte: Dragoslav, ja.
    Die besten Auswärtsfahrten waren Split und Rijeka, warf Kemo ein, und auch sein Gesicht erhellte sich. Die Siebziger an der Adria, mein lieber Hase! Wir haben Tschechinnen mit ins Stadion genommen! Wie diese Spiele ausgegangen sind … keine Ahnung, Bruder. Die schrieben uns danach Briefe und im Krieg schickten sie Zigaretten.
    Auf die Frage, wer gerade die Tabelle in Bosnien anführt, gab Kemo zwei Löffelpyramiden Zucker in seinen Verlängerten und schüttelte den Kopf: ach was, Bosnien …, winkte er ab. Du kannst auf das letzte Kaff in Finnland wetten, aber hier, auf die eigene Liga, vergiss es!
    Was Kleines, sagte Mesud, was Süßes, sagte Kemo später am Abend, als die meisten Spiele liefen und jeder nur noch auf die Teletext-Tafeln starrte. Ich besorgte uns Spinatfladenbrot,
Kajmak und Baklawa. Als ich mit dem Essen zurückkam, empfing mich Jubel. Inter war in Führung gegangen.
    Woher kommst du eigentlich?, fragte Mesud, den Blick auf das warme Fladenbrot gerichtet.
    Aus Višegrad, sagte ich und dachte zum ersten Mal seit Stunden wieder an Asija, an Oma Katarina, an meine Listen. Die Reise fühlte sich gerade nicht wie eine Reise an.
    Gut. Gute Stadt. Mesud biss in das Fladenbrot. Drina ist ein guter Fluss, gute Fußballer hatte sie nie. Bis auf einen vielleicht. Kemo, kannst du dich an – und jetzt wird Mesud »Kiko« sagen und »erinnern«. Wie hat der noch mal richtig geheißen? Er ist direkt aus der Jugend zu den Profis. Einen Kopfball nach dem anderen hat er reingewuchtet. Eine Sprungkraft, wird Mesud schwärmen, aufstützen musste der sich nicht. Mann, Mann, Mann, auf der Tribüne hast du es knallen gehört! Kiko, wird Mesud sagen, Kiko von der weichen Drina. Wie du.
     
    Im Teletext flimmern die Ergebnistafeln grün und rot. Die Hände der alten Männer sind rau und trocken, ungehobelt und grob, Narben und Höcker, wir wünschen uns zum Abschied Gelingen. In der Altstadt flimmern die Laternen, in den dunklen Wohnzimmern die Fernseher. Ein kalter Wind kommt auf, die Sterne sind nicht zu sehen. Ich vergrabe die Hände in die Taschen, schlage den Jackenkragen hoch. Das sind meine Hände in den Taschen. Das sind meine Schritte. Das ist mein Schlüssel. Hier schließe ich die Tür auf. Hier gehe ich auf Zehenspitzen die trotzig knarrende Treppe hinauf. Das ist mein Leisesein. Das ist mein Zimmer. Hier liegt mein Koffer. Hier stapeln sich die Listen. Hier stapeln sich die Straßen. Hier stapeln sich die Namen. Hier knie ich vor dem Koffer. Hier lese ich »Damir Kičić«. Hier steht »Damir Kičić – Kiko«.

Was hinter Gottes Füßen gespielt wird, wofür sich Kiko die Zigarette aufhebt, wo Hollywood liegt und wie Mikimaus zu antworten lernt
    U m 14.22 Uhr funkten sie den Waffenstillstand in den Schützengraben der Territorialen Verteidigung. Den dritten in diesem Monat. Um 14.28 Uhr schoss vom nördlichen Waldrand, aus dem serbischen Graben, der Ball im hohen Bogen auf die Lichtung, die auf etwa zweihundert Metern die Stellungen trennte, setzte zwei Mal auf und rollte zu den beiden zusammengeschossenen Tannen, die schon in den letzten Kriegsauszeiten als Pfosten gedient hatten.
    Der Befehlshabende der Territorialen, Dino Safirović, genannt Dino Zoff, hechtete aus dem Stand auf den Grabenrand, formte mit den Händen einen Trichter um seinen Mund und streckte den Oberkörper nach hinten, als er auf die andere Seite rief, was ist, Tschetniks, wollt ihr wieder auf die Fresse? Er langte sich in den Schritt und schob die Hüfte vor und zurück, vor und zurück, lief dann einige Meter in Richtung Ball, zu der Stelle, wo Ćora ausgestreckt lag mit einem

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