Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie der Vater so der Tod

Wie der Vater so der Tod

Titel: Wie der Vater so der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Bilen
Vom Netzwerk:
stundenweise Pferde mieten kann. Matt und ich sind ein paarmal dort gewesen. Sie hat uns nach dem Reiten immer Plätzchen zugesteckt.
    »Schon gut«, sage ich zu Mrs. Harper und versuche, mich geschmeichelt zu fühlen, weil mich jemand für eine Erwachsene hält. Selbst wenn es nur ein Fünfjähriger ist. »Ich warte auf meine Mutter.« Es ist erfrischend, zur Abwechselung die Wahrheit zu sagen.
    »Oh. Liest du mir vor?« Billy hebt ein großes Buch mit einem Dinosaurier auf dem Umschlag in die Höhe. In seinem Alter war auch Matt von Dinosauriern besessen.
    »Sie hat bestimmt zu tun, Billy.«
    »Ich lese dir gern vor, aber dann übersehe ich vielleicht den Wagen meiner Mutter, und sie hat es bestimmt eilig. Ich möchte nicht, dass sie ohne mich weiterfährt.« Billy sieht mich so enttäuscht an, dass ich meine Worte bereue und sie am liebsten zurücknähme.
    Billy und seine Mutter gehen, und für eine Weile ist die Bibliothek leer. Mrs. Evans rückt die Bücher im Fenster zurecht, und fast hätte ich »Aus dem Weg! Ich kann nichts sehen!« gerufen. Aber ich möchte nicht, dass sie die Polizei verständigt (sprich: Jack Reynolds) und mich hinauswerfen lässt. Deshalb bleibe ich still.
    Mrs. Evans kommt zum Tisch und macht ein Riesengedöns, sich an mir vorbeizudrängen und Bücher wieder einzustellen, die überall herumliegen. Sie seufzt, als wäre ich für die Unordnung verantwortlich. Ein Kind hat eine Zeichnung auf dem Tisch zurückgelassen. Mrs. Evans nimmt sie, zieht voller Abscheu die Stirn kraus, zerknüllt das Blatt und wirft es weg. Mir fällt ein anderes Blatt Papier ein, das im Abfall landete. Es kam mit der Post, an Matt adressiert. Ein Werbeblatt vom Middlebury College. Man stelle sich das vor: Vermont. Schnee. Alles friedlich. Vor allem friedlich. Mein Vater hielt das Blatt über den Abfallkorb, als er die Post sortierte, und Matt zog es ihm im letzten Augenblick aus der Hand.
    »He, warte!«, sagte er. »Ich habe von dem College gehört. Dort ist man auf Sprachen spezialisiert. Der Platz in den Studentenwohnheimen hängt von der Sprache ab, die man studiert, und man muss sich schriftlich verpflichten, nur die betreffende Sprache zu sprechen.« Matt war ein echtes Sprachtalent. Mrs. Jameson bezeichnete ihn als ihren besten Spanischschüler seit Jahren. Spanisch ist die einzige Fremdsprache, die man in Scottsfield lernen kann, aber davon ließ sich Matt nicht aufhalten. Er lieh sich CD s (»Bring dir Chinesisch bei«) aus der Bibliothek und hörte sie sich aus Spaß an.
    »Man braucht keine Fremdsprache zu lernen, um in Scottsfield zu leben«, sagte Dad. »Hier sprechen alle Englisch. Außerdem haben wir kein Geld für ein teures Privatcollege. Das Community College in Brookton ist gut genug. Du kannst zu Hause wohnen und am Wochenende im Eisenwarenladen arbeiten, um dir das Studium zu finanzieren. Schluss im Bus.« Dad nahm Matt das Werbeblatt weg, riss es in der Mitte durch und warf es in den Abfallkorb.
    Matt griff trotzig in den Korb und zog die beiden Papierhälften wieder hervor. Daraufhin rammte ihm Dad die Faust ins Gesicht.
    Als die Leute fragten, antwortete Matt, er hätte das blaue Auge vom Baseballspielen mit seiner Schwester. Was glaubhaft klang, denn alle wussten, dass ich beim Sport nicht viel tauge. Natürlich war seine Ausrede keine Erklärung dafür, warum er überhaupt mit mir Baseball spielte, aber so weit dachten die meisten Leute nicht. Bis auf Zach.
    Um fünf vor sieben lässt Mrs. Evans das Licht flackern. Ich bleibe, wo ich bin, und um sieben knipst sie das Licht ganz aus. Im Halbdunkel – das große Fenster hilft ein wenig – suche ich mir einen Weg nach draußen. Mrs. Evans schließt die Tür hinter uns ab und marschiert die Straße entlang, ohne Gruß und ohne mich eines Blickes zu würdigen. Es nieselt nur noch, und nach dem Aufenthalt in der Bibliothek bin ich einigermaßen trocken, aber ich friere nach wie vor, und außerdem fühle ich mich hundsmiserabel.
    Vor der Bibliothek steht eine rote Bank neben einem Blumenkasten. Ich lege meinen Rucksack auf die Bank, setze mich darauf und hoffe, dass mir die Nässe nicht durch den Hosenboden dringt. Ich beuge mich leicht nach vorn, weil die Geschichtsmappe von vor der Mittagspause noch in dem Rucksack steckt. Mir fällt ein, dass ich gar nichts zu Mittag gegessen habe, abgesehen von dem Eishörnchen, und das zählt nicht, finde ich. Eigentlich esse ich ganz gern, meistens.
    Es ist besser, ans Essen zu denken, als daran, was

Weitere Kostenlose Bücher