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Wie der Vater so der Tod

Wie der Vater so der Tod

Titel: Wie der Vater so der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Bilen
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wie er mir mit den Fingern durchs Haar streicht, wie ich seine Zunge im Mund spüre. Plötzlich schießt mir das Blut ins Gesicht, und ich merke, dass ich glotze. Allerdings, er hat ebenfalls große Augen und diesen starren Blick. Sein Gesichtsausdruck ist seltsam, als er sich langsam vorbeugt. Ich kneife im letzten Moment und drehe den Kopf weg.
    »Ich sollte wohl hineingehen«, murmle ich. Wie blöd bist du eigentlich? , schießt es mir durch den Kopf. Du hast gerade deine letzte Chance vermasselt, diese Lippen zu küssen! Bist du völlig übergeschnappt?
    »Ja, solltest du wohl«, sagt Alex. »Bis dann.«
    »Tschau. Und danke, dass du mich hergebracht hast.«
    Ich winke und gehe zur Veranda. Alle Gedanken an Glück, an Küsse mit Alex und irgendetwas Gutes lösen sich auf, als ich den kalten Türknauf berühre. Was erwartet mich hinter der Tür? Ich habe das Gefühl, in den Haferbreitraum zurückzusinken, in klebrigem Schleim zu ersticken.
    Es riecht nicht nach Abendessen, und niemand liest im Wohnzimmer. Das Haus scheint leer zu sein. Ich betrete die Küche und knipse das Licht an. Keine Töpfe auf dem Herd, keine Teller in der Spüle. Ich setze den Weg zum Wohnzimmer fort und habe dieses seltsame Verlangen, den Fernseher einzuschalten, damit es im Haus nicht mehr so still ist. Mit klopfendem Herzen gehe ich durch den Flur zum Schlafzimmer meiner Eltern und betätige dort den Lichtschalter.
    Fast hätte ich geschrien. Mein Vater sitzt auf dem Bett, voll angezogen und ganz wach. Im Dunkeln.
    »Ich habe gedacht, niemand sei zu Hause«, sage ich.
    Mein Vater starrt nur. Inzwischen bin ich an sein Schweigen gewöhnt, aber diese Situation ist entsetzlich.
    »Deine Mutter ist weg«, sagt er schlicht.
    Es scheint nicht mehr mein Leben zu sein – ich fühle mich wie in einem Roman von Stephen King gefangen. Wie hat Dad es herausgefunden? Und warum bin ich nicht bei Mom?
    »Was?«, bringe ich schließlich hervor.
    Dad langt nach der Zigarettenschachtel auf dem Nachtschränkchen und schüttelt die letzte Zigarette heraus. Er zündet sie an, nimmt einen tiefen Zug und bläst den Rauch zur Decke hinauf. Das leere Päckchen zerknüllt er und wirft es nach mir. Es prallt von meinem Arm ab.
    »Weiterbildungsseminar in North Carolina. Die Person, die sich eigentlich auf den Weg machen sollte, bekam eine Lebensmittelvergiftung, und deshalb haben sie deine Mutter geschickt.«
    »Wann kommt sie zurück?«
    »In einer Woche oder so.«
    Mein Vater nimmt einen weiteren Zug aus der Zigarette und schaltet dann den Fernseher ein, ohne ein weiteres Wort zu sagen – er sitzt einfach nur da und raucht. Am liebsten würde ich ihm mit den Händen vor dem Gesicht herumwedeln und ihn auffordern, mehr zu sagen, aber vielleicht bricht er mir dann den Arm. Deshalb ziehe ich mich zurück.
    Als ich mein Zimmer betrete, fällt mir sofort auf, dass mein Plüschhund Sam wieder auf dem Bett sitzt. Es läuft mir kalt über den Rücken. Ich weiß genau, dass ich Sam in die Reisetasche gelegt habe. Mein Blick wandert zum Schreibtisch. Das Fotoalbum liegt dort fein säuberlich an der einen Ecke.
    Ich gehe ins Bad. Meine Zahnbürste steckt in ihrem gelben Entenbecher.
    Ich zittere. Mit einem Schrei in der Kehle greife ich nach der Tagesdecke, hebe sie hoch und sehe unters Bett. Dort steht die Reisetasche. Aber sie ist leer. Jemand hat alles wieder an seinen Platz gelegt. Aber wer?
    Ich liege auf dem Boden, drücke mir die Arme an die Brust und konzentriere mich darauf, ruhig zu atmen. Ein, aus. Ein, aus. Mom, Dad. Ein, aus. Mom, Dad. Mom, Dad. Mom, Dad. Es funktioniert nicht. Die Sorge in meinem Kopf wird immer größer.
    Ich zwinge mich, MOM zu denken. Ich sage das Wort in meinem Kopf, so laut ich kann. MOM . Es muss MOM gewesen sein, die alles wieder eingeräumt hat. Obwohl alles von großer Sorgfalt und Ordnungsliebe zeugt, wie es typisch für Dad ist. Aus irgendeinem Grund muss Mom gewusst haben, dass sie mich heute nicht abholen konnte, und hat deshalb alles rückgängig gemacht. He, Moment mal! Vielleicht hat sie die Reisetasche ausgepackt und mir eine Nachricht hinterlassen!
    Ich strecke den Arm unters Bett, hole die Reisetasche heran, ziehe den Hauptreißverschluss auf und taste mit der Hand im Innern herum. Anschließend versuche ich es mit den Seitentaschen. Der Schrei, der mir in der Kehle feststeckt, will sich Luft verschaffen, und ich muss mir den Plüschhund auf den Mund drücken, um still zu bleiben.
    Mom, Dad, Mom, Dad verwandelt sich in

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