Wie der Vater so der Tod
den Fluss, und etwas hängt daran fest. Zachs Handschellen.
»Zach! Halt aus, ich komme zu dir!«
Ich schwimme so schnell wie möglich, so schnell wie nie zuvor in meinem Leben.
»Zach!« Ich schüttle ihn. Er reagiert nicht. Verdammt! Wie soll ich ihn ans Ufer bringen? Ich kann versuchen, ihn auf den Baumstamm zu ziehen, aber selbst wenn mir das gelingt – der Stamm führt zur anderen Seite des Flusses. Ich muss mit Zach schwimmen. Sofort steigt Zweifel in mir auf. Ich bin eine schreckliche Schwimmerin.
Hör auf damit, Sara! Du bist hier nicht im Schwimmbecken der Schule. Zachs Leben steht auf dem Spiel. Du kannst es schaffen.
Ich zerre an Zach, damit sich die Handschellen vom Baumstamm lösen, aber ich muss dabei gegen die Strömung ankämpfen, und das kostet viel Kraft. Nach einigen vergeblichen Versuchen hebe ich die Füße, um mich vom Stamm abzustoßen.
Holz knackt, und plötzlich habe ich Zachs ganzes Gewicht in den Armen. Wasser strömt mir in Mund und Nase. Wir gehen unter, wir sinken, immer tiefer. Ich trete, den einen Arm um Zach geschlungen, und gebe mir alle Mühe, wieder nach oben zu kommen.
Lass nicht los! Muss atmen. Lass nicht los! Muss atmen. Lass. Nicht. Los.
Es hat keinen Zweck. Ich kann nicht schwimmen und Zach festhalten. Aber ich lasse ihn auf keinen Fall los. Meinen Bruder konnte ich nicht retten, aber Zach werde ich retten.
Etwas summt. Eine Fliege? Ich drehe durch. Vielleicht sterbe ich.
Lass nicht los!
Schwimm!
Streng dich an!
Adrenalin flutet durch meinen Körper. Ich versuche noch einmal, die Wasseroberfläche zu erreichen.
Luft! Endlich Luft! Ich huste und keuche. Und wenn schon. Luft!
Etwas stößt mir gegen den Arm.
»Sara! Der Rettungsring!« Es ist Alex’ Stimme, leise und rau.
Ich muss zu Alex. Meine freie Hand, die linke, findet den Rettungsring und schiebt ihn unter Zachs Kopf. Mit der rechten Hand ziehe ich Zach und schwimme so schnell wie nie im Schwimmbecken der Schule. Mit den Beinen treten, im richtigen Rhythmus, mit dem Arm ausholen, ihn kraftvoll durchs Wasser ziehen. Fast da, fast da, nur noch eine kurze Strecke.
Das Ufer. Dort kniet Alex und streckt mir die Hand entgegen. Ich bekomme einen Felsen zu fassen und klettere aus dem Wasser, während Alex den Rettungsring mit Zachs Kopf festhält.
Er packt Zach an der einen Schulter und bedeutet mir, die andere zu nehmen. Gemeinsam ziehen wir Zach aus dem Wasser und legen ihn aufs schlammige Ufer.
Verdammt. Sein Bein blutet.
Alex legt zwei Finger an Zachs Hals. »Sein Herz schlägt noch«, flüstert er, bückt sich und hält das Ohr an Zachs Mund. Er schüttelt den Kopf. »Aber er atmet nicht.«
Ich erstarre.
Komm schon, Zach, du kannst mich doch nicht im Stich lassen!
Der Erste-Hilfe-Unterricht. Ich erinnere mich an Plastikpuppen und den überwältigenden Geruch von Bleichmitteln. An diesem Geruch halte ich mich fest und sehe mich selbst, wie ich auf dem Boden knie, mich über den Körper beuge …
Die Atemwege frei machen.
Den Kopf zurück, Kinn nach oben, die Nase zuhalten.
Atmen. Ich berühre Zachs kalte Haut und spüre die Panik in mir zittern, als ich die Lippen auf seinen Mund drücke und ihm meinen Atem einhauche. Tränen brennen mir in den Augen. Ich weiß nicht, was ich tue. Es klappt nicht. Komm schon, Zach, komm! Noch einmal. Du kannst doch nicht einfach so sterben. Das darfst du nicht.
Drei.
Es ist zu spät. Ihm ist nicht mehr zu helfen.
Vier.
Sein Körper zuckt. Er hustet und keucht.
Alex und ich rollen Zach auf die Seite. Wasser läuft ihm aus dem Mund. Seine Augen sind offen.
»Zach!« Ich drücke ihm das Gesicht an die Wange.
Alex zieht sein Hemd aus und bindet damit Zachs Bein ab. »Ich hole das Wohnmobil«, sagt er.
Entsetzen steigt in mir auf. »Aber die Schlüssel … Dad …«
Ich wage nicht hinzusehen. Und ich bin ganz sicher nicht imstande, meinem toten Vater die Schlüssel aus der Tasche zu ziehen.
»Hab sie schon.« Alex hebt einen Schlüsselanhänger mit Dads sauberer Handschrift hoch. Er läuft los.
Kurz darauf brummt der Motor, und das Wohnmobil schaukelt dem Fluss entgegen. Alex springt heraus, lässt den Motor laufen und die Tür offen. »Jetzt kommt der schwierige Teil«, sagt er.
Als er Zach zum Wohnmobil trägt, halte ich die Beine, damit sie nicht gegen die Treppe stoßen. Zach stöhnt schmerzerfüllt. Ich schneide eine Grimasse und bin verzweifelt, nichts für ihn tun zu können.
»Festhalten!«, rufe ich, springe aus dem Wohnmobil und werfe die Tür
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