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Wie die Iren die Zivilisation retteten

Wie die Iren die Zivilisation retteten

Titel: Wie die Iren die Zivilisation retteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Cahill
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gebildeter Hellene seine Überlegenheit zur Schau stellte, kam er nicht umhin, ihn heimlich der Perversion zu verdächtigen: Bei
    Jupiter, ließen die Griechen nicht zu, daß die schwulen Tutoren, die sie beschäftigten, ihre eigenen Kinder vögelten?) Die kulturelle Beziehung zwischen Römern und Griechen ähnelte in vielerlei Hinsicht der zwischen Engländern und Franzosen oder der zwischen Amerikanern
    und Engländern: Immer gilt auf der einen Seite Schlichtheit als Tugend und Komplexität als Sünde, während auf der anderen Seite die Raffiniertheit gepriesen und die vermeintlich rustikale Geradlinigkeit als geradezu beleidigend betrachtet wird.
    In Vergils neuem Mythos ist das offenherzige Rom dem hinterhälti-
    gen Griechenland überlegen und im Grunde (Überraschung!) die
    ältere Zivilisation, denn es kann seine Wurzeln bis zum legendären Ilium – dem alten Troja – zurückverfolgen. Vergil macht seinen Mythos unvergänglich, indem er ihn in eine neue Sprache faßt, die alles, was Griechenland je hervorgebracht hat, in den Schatten stellt: ein heroisches und dennoch geschmeidiges Latein, das bis heute durch
    die Jahrhunderte klingt. Mit der Neuerzählung der Geschichte vom
    hölzernen Pferd, in der die Griechen durch List gewannen, was sie auf dem Schlachtfeld nicht fair gewinnen konnten, warnt Aeneas nicht
    nur Dido, sondern die gesamte zukünftige Menschheit: » Timeo Danaos et dona ferentis « (»Ich beargwöhne die Griechen, auch die, die Geschenke bringen«).
    Die Figur der Dido ist mehr als nur ein versteckter Hinweis auf eine andere dunkelhäutige Königin – auf Kleopatra, deren »östliche«
    Sinnlichkeit es Mark Anton angetan hatte. Doch unser Held Aeneas

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    erweist sich als tugendhaft genug, dieser Versuchung, die seiner –
    und jedes Römers – Bestimmung im Wege ist, zu widerstehen. Natür-
    lich ist er auch nur ein Mensch und kein Tugendbold, und die Liebe der beiden bot Vergil Gelegenheit, einige seiner aufregendsten Verse zu schreiben. Doch Didos Selbstmord ist – bei aller Tragik – notwendig. Das ist – für Griechen wie für Römer – die althergebrachte Bedeutung von Tragödie: die unausweichliche Katastrophe.
    Und gerade Dido spricht die großartigsten Zeilen Vergils:

    Sunt lacrimae et mentem mortalia tangunt.

    Dies sind die Tränen der Dinge,
    und der Stoff unserer Sterblichkeit
    schneidet uns ins Herz.

    Für Augustinus, den römischen Provinzbewohner afrikanischer
    Herkunft, war Dido weniger exotisch als für einen Italiener. Sie stellte in mancherlei Hinsicht eine Inkarnation Afrikas dar, und ihre Katastrophe war Afrikas Katastrophe: sinnliches Afrika, dessen große
    Stadt Karthago die Stadt Didos war... und nun die Stadt des lasziven Siebzehnjährigen die äußerlich brodelnde Stadt, in der Augustinus innerlich brodelte.
    Der berühmte Satz »Ich kam nach Karthago ... « enthält einen beab-sichtigten Reim – einen der ersten der lateinischen Literatur.*
    Der Name der Stadt Carthago reimt sich auf sartago, Kessel. Das ist beabsichtigt, es soll die Aufmerksamkeit auf die brodelnde Stadt und den brodelnden Jungen lenken, den Makrokosmos und den Mikro-kosmos. Dieser wirkungsvolle und subtile rhetorische Kunstgriff wäre jedoch von allen früheren Schreibern für indecens – für bäurisch und

    * Den ersten finde ich in Hieronymus’ lateinischer Übersetzung des Paulusbriefes an Timotheus:

    »Bonum certamen certavi,
    cursum consumavi, fidem servavi.«

    (»Ich habe den guten Kampf gefochten, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten«). Doch dieser Reim könnte weniger beabsichtigt als viel mehr für Hieronymus unver-meidbar gewesen sein.
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    unangemessen – gehalten worden. Doch anders als der déraciné
    Ausonius kann es Augustinus, der angehende afrikanische Lateiner, der sich so vollständig mit Didos Leidenschaft identifiziert, seinem inneren Brodeln erlauben, von Zeit zu Zeit in Form von afrikanischen Rhythmen und rhetorischen Kunstgriffen an die Oberfläche zu steigen. Nach seiner Bekehrung und Weihe zum Bischof von Hippo
    erfreut Augustinus seine Gemeinde immer wieder, indem er verbale
    Feuerwerke mit afrikanischem »Swing« verbindet. »Bona dona«
    (»gute Gaben«) wird einer ihrer Lieblingsausdrücke. Diese lateinische Mundart ist der erste Schritt zum vereinfachten, rhythmischen, rei-menden »Vulgärlatein« des Mittelalters.
    War Vergil der große Lehrmeister in Sprache und Stil (oder Gram-
    matik und Rhetorik, um die Kategorien der

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