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Wie die Iren die Zivilisation retteten

Wie die Iren die Zivilisation retteten

Titel: Wie die Iren die Zivilisation retteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Cahill
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machen die Zivilisation nicht aus, und eine Gesellschaft kann solche Annehmlichkeiten haben und trotzdem tot und starr sein.«
    Ob nun unlösbare politische Realitäten oder geistige Schwächen für den Untergang der klassischen Zivilisation verantwortlich sind, ist letztlich egal. Das Leben hinter den Werken, die wir untersucht haben
    – der leidenschaftliche Edelmut von Vergil, der kühle Rationalismus von Cicero, das Klösterlich-Meditative bei Platon –, diese Flamme der Zivilisation soll nun gelöscht werden. Die Werke selbst werden auf wunderbare Weise vor der Zerstörung gerettet. Doch sie werden in
    der neuen Welt des Mittelalters so fremdartig erscheinen, als seien sie von Außerirdischen zurückgelassen worden. Ein Beispiel soll illustrie-ren, wie fremd Bücher dem mittelalterlichen Menschen waren. Das
    Wort Grammatik – der erste Schritt im klassischen Studiengang, der alle gebildeten Männer von Platon bis Augustinus formte – wird von einem der barbarischen Stämme als Glamour verstanden. Anders
    gesagt, derjenige, der Grammatik hat – also lesen kann –, ist im Besitz eines unerklärlichen Zaubers.
    So starb die lebende Zivilisation, um in späteren Jahrhunderten von Gelehrten anhand der Texte rekonstruiert und beurteilt zu werden, die wie durch ein Wunder in den Büchern erhalten geblieben waren.
    Eine klassische Tradition allerdings hat die Übergangszeit überlebt: das immer noch lebendige Römische Recht.
    Wir haben das Römische Recht bereits kennengelernt – in Form ei-
    nes kraftlosen Gesetzes, das vom Kaiser verkündet und danach erst von den Mächtigen und schließlich von allen, die damit davonkamen, umgangen wurde. Je schwächer die kaiserlichen Gesetze werden,
    desto üppiger werden die damit verbundenen Zeremonien. Zuletzt
    wird das Edikt des göttlichen Stellvertreters mit Gold auf purpurnem Papier geschrieben, von behandschuhten Händen mit dem Gestus

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    eines Priesters, der heilige Gefäße berührt, empfangen und zur Anbe-tung in die Höhe gehalten, vor den Versammelten, die sich vor dem Gesetz zu Boden werfen – und es dann ignorieren.
    Aber dieses Bild für sich genommen wäre irreführend. Wie wir be-
    reits gesehen haben, hatte der Mensch der Antike viel größeren Respekt vor dem praktischen, öffentlichen Diskurs als wir und viel
    größere Angst vor dem Chaos. Die Briten, die Gallier, die Afrikaner, die Slawen, die sich lange zuvor um die römische Standarte versammelt und ihre Stammesloyalität in den Wind geschlagen hatten, um
    römische Bürger zu werden, gewannen eine Menge. Indem sie die
    Stammesidentität gegen den Bürgerstatus eintauschten, erlangten sie den Schutz der Pax Romana – und deren Verläßlichkeit. Mit dem
    Verschwinden plötzlicher gewaltsamer Übergriffe konnten sie nach
    vorn blicken, wie es ihnen zuvor nie möglich war: Sie konnten planen, sie konnten sich entwickeln, sie hatten eine normale Lebenserwar-tung.
    Als die römische Kultur ausstarb und durch dynamische Entwick-
    lungen der Barbaren ersetzt wurde, vergaßen die Menschen viele
    Dinge – Lesen, Denken, Baukunst –, doch woran sie sich erinnerten und was sie beklagten, war der verlorene Frieden. Wenn man will,
    kann man sie die Menschen des Dunklen Zeitalters nennen, doch man darf den Wunsch dieser frühmittelalterlichen Männer und Frauen
    nach Regeln und Gesetzen nicht unterschätzen. Nur ein Amt überleb-te unbeschadet von der klassischen bis zur mittelalterlichen polis : das Amt des katholischen Bischofs.
    In der Spätantike, als sich die Kommunal- und Provinzregierungen
    auflösten und die kaiserlichen Abgesandten ihre Posten verließen, gab es einen Amtsträger, der dem Volk bis in den Tod treu war: der epi-skopos (wenn man es schnell spricht, hört man deutlich, woher das deutsche Wort Bischof stammt). Ein griechisches Wort für »Aufseher«
    oder »Leiter«. In den Apostelgesetzen und den Paulusbriefen werden Bischöfe gelegentlich als Kirchenfunktionäre erwähnt, die sich kaum von den Priestern (den griechischen presbyteroi oder Alten unterscheiden). Die meisten frühchristlichen Gemeinden sind offenbar von einer Art Mischung aus Bischof und Priester geleitet worden, es handelte 58
    sich um einheimische Männer – und in den ersten Entwicklungsstadi-en auch Frauen –, die von den Gemeindemitgliedern für bestimmte
    Zeiträume gewählt und mit der Regelung praktischer Angelegenhei-
    ten betraut wurden. Mit dem Tod der Apostel ( apostoloi oder Jünger), der maßgeblichen

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