Wie die Iren die Zivilisation retteten
Überbringer des Wortes Jesu, gewann die Rolle der Bischöfe an Bedeutung. Zu Beginn des zweiten Jahrhunderts wird der Bischof als hochgestellte Persönlichkeit behandelt, als Nachfolger der verstorbenen Apostel und Symbol für die Einheit der jeweiligen
Gemeinde – aber immer noch als der von seiner Gemeinde Gewählte.
Als Symbol ihrer Einheit mußte er sie in allen wichtigen Angelegenheiten befragen. »Von Beginn meines Episkopats an«, gestand der
aristokratische Cyprian von Karthago, der große Bischof Afrikas im dritten Jahrhundert, seinem Klerus, »nahm ich mir vor, nichts nach meiner eigenen Meinung zu beschließen, ohne euren Rat und ohne
die Zustimmung des Volkes.«
Gegen Ende von Augustinus’ Lebenszeit war ein solches Zu-Rate-
Ziehen die Ausnahme. Die Demokratie ist abhängig von gut infor-
mierten Wählern, und die Bischöfe konnten sich nicht mehr auf die Meinung ihrer Herde verlassen, die immer ungebildeter wurde. Und
wahrscheinlich sprach in ihren Augen nichts dagegen, daß ihre eigene Macht auf Kosten der Menschen wuchs. In vielen Gebieten waren sie die einzige übriggebliebene Autorität, das letzte Symbol von römischem Recht und römischer Ordnung. Sie begannen sich gegenseitig
zu wählen, und so entstand – fünf Jahrhunderte nach dem Tod Jesu –
die sich selbst erhaltende Hierarchie, die die katholische Kirche bis heute regiert.
Die römische polis war stets mehr von den Menschen als vom geschriebenen Gesetz abhängig gewesen. Gesetze mußten ausgelegt und angewendet werden, und wohlhabende Männer mit Status konnten
das Gesetz sehr viel freier interpretieren. Nun waren die Bischöfe neben den unbedeutenden Königen und Prinzen der neuen Weltordnung, die einzigen Statusträger. Der »König«, beziehungsweise der örtliche Häuptling, war in der Regel ein Barbar mit höchst eigenwilliger Auffassung von Gerechtigkeit und nur wenig an Ordnung inter-
essiert. Es wurde die Aufgabe des Bischofs – oftmals des einzigen, der 59
noch einige Bücher besaß, und, abgesehen von seinen Schreibern, des einzigen, der lesen und schreiben konnte –, den Herrscher zu »zivilisieren«, ihm auf diplomatische Weise einige elementare Grundregeln von Rechtsprechung und gutem Regieren beizubringen. So wuchs die
Macht des Bischofs, der manchmal selbst der einzige »Prinz« in
Sichtweite war, weiter.
Augustinus starb, als die Wandalen die Tore der Stadt, in der er als Bischof gedient hatte, belagerten, und so erlebte er die verheerenden Stürme der neuen Weltordnung nicht mehr. Trotzdem waren seine
letzten Jahre von Streß und Streit erfüllt. Er war seinem Glauben gefolgt und hatte gehofft, seine stille Suche nach der Wahrheit in einer philosophischen Gemeinde gleichgesinnter Freunde fortführen zu
können. Doch sein starres Rückgrat, das seine Karriere innerhalb der Kirche in friedlicheren Zeiten verzögert hätte, ließ ihn als idealen Bischof erscheinen: ein mutiger Hirte, der seine gefährdete Herde nicht verlassen würde. Es war nur eine Frage der Zeit, bis irgendeine Gemeinde ihn an sich band. Es war Hippo, die zweitgrößte Stadt im römischen Afrika.
Hat die östliche (oder griechische) antike Kirche viele »Väter« –
Theologen, die die klassischen Glaubensregeln für die gräko-
romanische Welt festlegten –, so besitzt die westliche (oder lateinische) antike Kirche nur einen nennenswerten Theologen: Augustinus.
Im Ergebnis seines inneren Dialogs mit Platon und Paulus formuliert er die Lehre von der Erbsünde – der Sünde von Adam und Eva, die
durch den fleischlichen Akt der Fortpflanzung von Generation zu
Generation weitergegeben wird. »Denn gleich wie sie in Adam alle
sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden.« –
Augustinus interpretiert diese Worte von Paulus als Beschreibung der notwendigen Solidarität der menschlichen Rasse sowohl in der Sünde als auch im Aufstieg durch die Gnade zur Erlösung. Er formuliert die Doktrin der Gnade der Gabe Gottes, die dem Menschen geschenkt
wird, ohne daß er sie verdienen kann. Er liefert sogar eine Erklärung der Dreieinigkeit: Gott ist der Eine – wie im »Alten« Testament, der Schrift der Juden –, doch im Herzen der Realität gibt es die Verknüpfung: Gott der Eine ist Drei, der Vater, der seinen Sohn liebt, der Sohn, 60
der durch seines Vaters Liebe aus der Ewigkeit geboren wurde, und der Heilige Geist – die Liebe von Vater und Sohn, die so stark ist, daß sie eine dritte »Person« in dieser
Weitere Kostenlose Bücher