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Wie die Iren die Zivilisation retteten

Wie die Iren die Zivilisation retteten

Titel: Wie die Iren die Zivilisation retteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Cahill
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Wir können uns ihren scharfzüngigen ersten Satz (»Wie kommst du denn darauf?«) auch gut auf den Lippen so mancher Figuren des modernen irischen Dramas vorstellen. Daran zeigt sich eine erstaunliche Kontinuität: vom prähistorischen Irland bis zum heutigen Tag.
    Die sexuelle Offenheit dieser Figuren hat in der klassischen Literatur kein Beispiel, auch nicht in den Epen von Homer. Wir müssen
    schon auf das sumerische Epos von Gilgamesch zurückgreifen, um etwas Vergleichbares zu finden. Medb spricht ihr Angebot – ihre
    »eigenen freundlichen Schenkel« für den Handel mit Daire – sichtlich beiläufig aus. Und ebenso offensichtlich ist, daß Medb keine Not
    leidet – diese Behauptung wäre geradezu lächerlich! Tatsächlich
    bewundern in der frühen irischen Literatur sowohl Männer als auch Frauen die körperlichen Vorzüge des anderen ganz offen und laden
    ihn ohne große Formalitäten zu sich ins Bett ein.
    In einer anderen Geschichte überholt Derdriu – oder Deirdre of the Sorrows – Noisiu auf dem Wehrgang von Emain Macha, dem Haupt-sitz der Könige von Ulster. Sie haben sich niemals vorher gesehen.
    Der königliche Druide Cathbad hatte Derdriu prophezeit, daß

    hohe Königinnen vor Neid aufstöhnen werden,
    wenn sie die Lippen von tiefem Rot sehen,
    die sich über ihren Perlenzähnen öffnen,
    und wenn sie ihren vollkommenen Körper sehen.

    Auch wenn Noisiu weiß, daß Derdriu dem alten König versprochen
    ist und daß ein Fluch auf ihr liegt, kann er sich nicht helfen: »Da geht eine feine Färse.«
    »Und wenn schon«, ruft Derdriu zurück. »Die Färsen gedeihen hier, doch es gibt keine Stiere.«
    »Du hast doch den Stier dieser Provinz ganz für dich allein – den König von Ulster.«
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    »Von euch beiden würde ich mich für so einen verspielten jungen
    Stier wie dich entscheiden.«
    Raten Sie mal, wie es weitergeht.
    Ähnlich wird in einer anderen Geschichte des Tain folgende Unterhaltung zwischen dem jungen Cuchulainn, dem irischen Achilles, und Emer, dem Mädchen, um das er wirbt, wiedergegeben:
    »Dein Weg sei gesegnet! « ruft Emer bei seiner Ankunft.
    »Dein Augapfel soll nur Gutes sehen«, antwortet Cuchulainn. Dann
    schaut er an ihr herunter: »Ich sehe ein süßes Land. Hier könnte ich meine Waffe niederlegen.« Die Aufgaben, die der Held erfüllen muß, bevor sein süßes Land sich ihm öffnet, stellt Emer ihm selbst – und nicht ihr Vater, wie es in einem Märchen der Fall wäre:
    »Kein Mann wird dieses Land betreten, bevor er nicht hundert
    Männer in jeder Befestigung getötet hat, von Scenmenn am Fluß
    Ailbine bis nach Banchiung ... wo der schäumende Brea den Fedelm
    springen läßt.«
    »In diesem süßen Land will ich meine Waffen niederlegen.«
    »Kein Mann wird dieses Land betreten, solange er nicht die Mei-
    sterleistung vollbracht hat, mit seinem doppelten Gewicht in Gold beladen den Lachssprung zu vollführen und drei Gruppen von je
    neun Männern mit einem einzigen Schlag niederzustrecken und den
    mittleren Mann der Neun unangetastet zu lassen.«
    »An diesem süßen Land will ich meine Waffen niederlegen.«
    »Kein Mann wird dieses Land betreten, der nicht von Samain [Hal-
    loween], wenn der Sommer zur Neige geht, bis Imbolc [Lichtmeß],
    wenn die Mutterschafe zum Frühlingsanfang gemolken werden, ohne
    Schlaf geblieben ist; von Imbolc bis Beltaine [Maifeiertag] am Som-meranfang und von Beltaine bis Bron Trogain, dem traurigen Herbst.«
    »So soll es geschehen.«

    Sie waren vielleicht nicht zivilisiert, aber sie waren mit Sicherheit selbstbewußt – und dieses Selbstbewußtsein unter anderem macht die frühe irische Literatur so erfreulich. Wir können uns diese Menschen –
    Männer und Frauen – ohne weiteres vorstellen, wie sie den ganzen
    Tag auf dem Pferderücken verbringen, das Blut ihrer Feinde vergie-71
    ßen, die Muskeln spielen lassen und die feuchten irischen Nächte mit leidenschaftlicher Kopulation zubringen. Selbst ihr Leid und ihr
    Sterben werden mit einem Achselzucken abgetan, obwohl sie Tragö-
    dien begreifen und ebenso bewegt erleben wie andere Menschen
    auch. G. K. Chesterton schreibt:

    Denn die großen Gälen von Irland
    sind die Menschen, die Gott als Verrückte erschuf.
    Denn alle ihre Kriege sind fröhlich
    und all ihre Lieder traurig.

    Die Iren gehören zur großen ethnischen Gruppe der Kelten, die um
    600 v. Chr. zum erstenmal ins westliche Bewußtsein drangen – nur
    anderthalb Jahrhunderte nach der Gründung der legendären

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