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Wie die Iren die Zivilisation retteten

Wie die Iren die Zivilisation retteten

Titel: Wie die Iren die Zivilisation retteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Cahill
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gleichwertigen
    Stier finden, und sie wurde so niedergeschlagen, als besäße sie keinen einzigen Penny.

    Wie kommen wir zu diesem außerordentlichen Bericht? Können wir
    uns überhaupt auf seine Genauigkeit verlassen?
    Ich habe aus der ersten Szene des irischen Prosa-Epos Tain Bo Cuailnge, Der Rinderraub von Cooley , zitiert. Es gibt verschiedene Versio-nen, und keine ist vollständig. Die älteste stammt aus dem achten Jahrhundert. Diese Szene stammt aus einem Manuskript aus dem
    zwölften Jahrhundert, das von dem zeitgenössischen irischen Dichter Thomas Kinsalla hervorragend aus dem Altirischen übersetzt wurde.
    Der Inhalt des Manuskriptes geht allerdings auf eine frühere mündliche Erzählung zurück, die aus der Zeit um die Geburt Christi stammt.
    Und auch wenn wir kaum behaupten können, diese königliche Kon-
    versation hätte Wort für Wort so stattgefunden, bezeugt die münd-
    lich-schriftliche Überlieferung doch, daß eine solche Unterhaltung sehr gut der Auslöser für die weitere epische Handlung des Tain
    gewesen sein könnte.
    Medb ruft nach dem Oberboten Mac Roth und fragt ihn, wo sie ei-
    nen Stier wie den von Ailil auftreiben könne. »Ich weiß, wo man einen solchen oder besseren Stier findet«, sagte Mac Roth. »In der Provinz Ulster, im Gebiet von Cuailnge, im Haus von Daire mac Fiachna. Der Name des Stiers ist Donn Cuailnge, der Braune Stier von Cuailnge.«
    »Geh dorthin, Mac Roth«, befiehlt Medb. »Bitte Daire, mir Donn
    Cuailnge für ein Jahr zu leihen. Am Ende des Jahres soll er als Leihge-bühr fünfzehn Färsen bekommen, und er erhält den Braunen Stier von Cuailnge zurück. Biete ihm auch folgendes an, Mac Roth, falls das Volk seines Landes es für schlecht hält, das Schmuckstück Donn
    Cuailnge zu verlieren: Wenn Daire persönlich mit dem Stier kommt, werde ich ihm einen Teil der schönen Ebene von Ai schenken und
    einen Wagen im Wert von dreimal sieben Sklavinnen sowie meine
    eigenen freundlichen Schenkel dazu.«
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    Den Leser wird es nicht überraschen, daß Daire diesen Vorschlag
    gnädig akzeptiert. Leider macht die großzügige Gastfreundschaft, mit der Daire Mac Roth und seine Truppe aufnimmt, das Abkommen
    zunichte, denn »man gab ihnen das beste Essen und versorgte sie gut, bis sie betrunken und laut wurden«. Dann streiten sich die Boten
    darüber, ob Medbs Armee den Braunen Stier von Ulster mit Gewalt
    hätte wegführen können, wenn Daire dem Handel nicht zugestimmt
    hätte. Daires Verwalter betritt genau in dem Moment den Raum, als einer prahlt: »Wir hätten ihn sowieso mitgenommen, ob nun mit oder ohne eure Erlaubnis! «
    Damit ist der Handel hinfällig. »Und wenn es nicht gegen meine
    Gewohnheiten wäre«, kocht Daire, als er von dem betrunkenen Auf-
    schneider erfährt, »Boten oder Reisende oder Wanderer zu ermorden, dann würde keiner von euch lebend hier herauskommen.«
    Als Medb von Mac Roth Bericht über die Vorgänge erhält, antwor-
    tet sie freundlich: »Wir brauchen uns nichts vorzumachen, Mac Roth.
    Jeder wußte, daß wir ihn uns mit Gewalt genommen hätten, wenn er
    uns nicht freiwillig gegeben worden wäre. Und nun werden wir ihn
    uns holen.« Medb zieht eine riesige Armee zusammen, die unter
    ihrem Kommando gegen Cuailnge ausrückt, um den Braunen Stier
    einzufangen. Unterwegs treffen sie nicht auf die Armee von Ulster, die von einer geheimnisvollen Schwäche zurückgehalten wird, sondern auf einen einzelnen Helden: den jungen Cuchulainn.
    Das erste, das jedem modernen Leser des Tain auffallen wird, ist die darin gezeigte rauhe, fremde Welt, einfach und doch voll von barbari-schem Glanz. Hier gibt es keine tiefschürfende Überlegung oder
    Subtilität, keine Raffinesse oder Doppeldeutigkeit. Wir erkennen
    sofort, daß wir uns weit von Vergil, Cicero, Platon und der gesamten literarischen Tradition der klassischen Welt entfernt haben, außer vielleicht von Homer. Die Helden des Tain denken nicht viel nach, vielleicht sogar überhaupt nicht. Aber sie agieren – und das mit einem charakteristischen Elan und einer Direktheit, die uns sogleich von ihrer Menschlichkeit überzeugen.
    Und kaum jemand ist direkter als Medb. Wie sehr sie sich von einer Königin wie Dido unterscheidet! Medb würde nie wegen eines Lieb-69
    habers schmachten – oder wegen sonst etwas. Wenn Augustinus als
    der erste selbst-bewußte Mann gelten kann, dann ist Medb – auf der anderen Seite des Bewußtseinsspektrums – präreflektiv. Zudem ist
    ihre Art zu reden typisch irisch.

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