Wie die Iren die Zivilisation retteten
heutigen Armagh), nur einen Berg entfernt von
Emain Macha, dem Sitz der Ulster-Könige, die von Derdrius Peiniger Conchobor abstammen; er setzte einen Bischof in der Nähe von Tara ein, der Heimat des Hochkönigs (theoretisch durch das Rotationssy-stem unter den Provinzkönigen gewählt!), sowie neben den Haupt-
städten der Könige des nördlichen und südlichen Leinster. Sogar in Cruachan, Medbs alter Hauptstadt von Connacht, schuf er ein Bistum, wenngleich Munster im Süden noch eine Generation länger heidnisch blieb. Die Idee, Bischofsämter mit regionalen Königssitzen zu verbinden, übernahm Patrick zweifellos vom kontinentalen Modell der
Kirchenorganisation. Doch während Augustinus diese Anordnung als
bestens geeignet betrachtet hätte, um langsam, aber sicher die Macht der Kirche zu stärken, hatte Patrick keine solche Motivation. Denn das alte Irland besaß keine civitates , eigentlich überhaupt keine dichtbe-siedelten Zentren, sondern nur verstreute, einsame Bauernhöfe.
Indem er seine Bischöfe als Nachbarn der Könige ansiedelte, hoffte Patrick, ein Auge auf die mächtigsten Plünderer und Viehdiebe zu
haben und ihren Verwüstungen Grenzen zu setzen.
Er hatte riesigen Erfolg bei den Iren – sogar bei den Königen. Noch zu seinen Lebzeiten oder kurz nach seinem Tod war es in Irland mit dem Sklavenhandel vorbei, und andere Formen der Gewalt, wie Mord
oder Stammeskriege, waren seltener geworden. Bei der Reform der
irischen Sexualmoral allerdings war er weniger erfolgreich, auch
wenn er Klöster und Konvente gründete, deren Bewohner die Iren
durch ihren Lebensstil daran erinnerten, daß Tugenden wie lebens-
lange Treue, Mut und Großzügigkeit von ganz normalen menschli-
chen Wesen erlangt werden konnten und daß das Schwert nicht das
einzige Instrument war, mit dem sich eine Gesellschaft strukturieren ließ.
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Irland im frühen fünften Jahrhundert
Patricks Beziehungen zu seinen britischen Brüdern waren weniger
glücklich. Aufsteigende kleinere Könige an der westlichen Küste
Britanniens, die sich beeilten, das Machtvakuum zu füllen, das durch den Abzug der römischen Legionen entstanden war, zogen eigen-mächtig Grenzen und fingen mit der Piraterie an – einem Gewerbe,
das die christlichen Briten lange zuvor bereits ausgerottet hatten. Die Armeen eines dieser Könige, Coroticus, landeten an der inzwischen befriedeten Küste von Nordirland, metzelten unzählige Menschen
nieder, plünderten und schleppten Patricks Gläubige zu Tausenden
davon – »das Taufwasser auf ihrer Stirn war noch feucht«, schreibt der entsetzte Apostel.
In der Hoffnung, die Gefangenen mit Lösegeld freikaufen zu kön-
nen, schickt er eine Delegation von Priestern an den Hof von Coroticus, doch als sie dort ankommen, werden sie ausgelacht. Da ihm eine Unterredung mit dem König nicht gestattet wird, ist Patrick am Ende 98
seiner Weisheit und schreibt einen offenen Brief an die britischen Christen, um Druck auf Coroticus auszuüben. Es ist eine Klage um
sein verlorenes Volk: »Vatermörder! Brudermörder! Wilde Wölfe
fressen die Menschen Gottes, als wären sie Brot! ... Ich beschwöre euch ernsthaft, es ist unrecht, solchen Männern Höflichkeit entgegen-zubringen oder in ihrer Gesellschaft zu essen und zu trinken, noch ist es recht, ihre Almosen anzunehmen, solange sie sich nicht durch
strenge Reue und Tränen vor Gott bessern und die Diener Gottes und die getauften Dienerinnen Christi freilassen, für die er gekreuzigt wurde und gestorben ist.«
Wenn er von diesen »schrecklichen und unaussprechlichen Verbre-
chen« redet, wird Patricks Inbrunst natürlich von den Erinnerungen an seine eigenen schrecklichen Erfahrungen angeheizt. Auf dieser
Stufe der menschlichen Entwicklung konnte nur ein ehemaliger
Sklave den Sklavenhandel mit solchem Feuer verdammen. Die Er-
wähnung der Almosen weist darauf hin, daß die Adressaten, auf die Patrick den größten Eindruck zu machen hofft, die britischen Bischöfe sind, deshalb spielt er auch immer wieder auf die Taufe seiner Leute an. Würden diese Bischöfe sich zusammentun und Coroticus exkommunizieren, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis eine wohlorganisierte soziale Isolation den Willen des Königs brechen würde.
Wir wissen nicht, ob Patricks Schachzug erfolgreich war. Aber wir wissen, daß er bei all seiner Qual deutlich erkannte, wer oder was seinem Erfolg im Wege stand: »In Trauer und Schmerz weine ich laut.
Oh, ihr lieben und liebenden
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