Wie die Iren die Zivilisation retteten
desselben Kelches, derselben Bestimmung. Der silberne Kessel wurde als Dankesgeschenk für einen großen Gefallen hergestellt: Er sollte nicht von menschlichen Augen betrachtet werden, sondern war zur
Freude des Moorgottes bestimmt. Aber der silberne Kelch sollte die Menschen, die seinen mystischen Inhalt tranken, erfreuen und erfrischen. Sein elegantes Gleichgewicht, seine zarten Goldintarsien, seine blauen und roten Edelsteine lockten schon von weitem. Wenn er
näher kam, konnte der Kommunikant die hohe Handwerkskunst
noch deutlicher sehen und bewundern, und wenn er den Kelch an die Lippen hob, entdeckte er erstaunt die beinahe unsichtbaren Namen
der zwölf Apostel, eingraviert in ein Band unterhalb der Henkel.
Trank er den Wein – im Moment des eigentlichen Abendmahls –,
kehrte er den Kelch um, und zum Himmel strahlte die hinreißendste Seite des Gefäßes, die raffinierte Unterseite, die von Gott allein gesehen werden sollte. Diese geheime Freude verbindet den Kelch mit
dem Kessel und mit allen heidnischen Vorfahren der Iren. Doch die heidnische Art, den Gott zu erfreuen, ist nun vollkommen in der
neuen Vorstellung und allem, was darauf folgt, aufgegangen. Der
Schmied ist nach wie vor ein »Mann der Kunst«, ein Dichter oder
Druide, aber er gehört nicht mehr zu denen, gegen deren böse Macht Patrick sich schützen mußte:
Gegen das Handwerk der Götzenverehrung,
Gegen Sprüche von Hexen und Schmieden und Zauberern,
gegen jedes Wissen, das Körper und Geist schwächt.
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Denn die Freude Gottes und der Menschen ist vereint, und die Erde wird von himmlischen Blitzen erleuchtet, und der Kelch ist das Dankesgeschenk des druidisch-christlichen Schmiedes, sein deo gratias.
Und so wurden die Iren zu Christen.
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VI. Was herauskam
Wie die Iren die
Zivilisation retteten
Patrick war ein schwergeprüfter Mann, der sein Lebensziel erst fand, als sein Leben bereits halb vorüber war. Er konnte sehr zornig werden, wenn er eine Ungerechtigkeit beobachtete – nicht, wenn diese sich gegen ihn selbst richtete, sondern wenn sie andere traf, vor allem Wehrlose. Doch er besaß die Fröhlichkeit und freundliche Stimmung, der man bei vielen bescheidenen Menschen begegnet. Er erfreute sich an dieser Welt und an der Vielfalt der Menschen – und er nahm sich selbst nicht allzu ernst. Im Geiste war er ein Ire. »Überragender Egoismus und vollkommene Ernsthaftigkeit sind nötig, um die größ-
ten Ziele zu erreichen, doch die Iren können das nicht durchhalten; immer wieder wird der Drang, das Leben von der komischen Seite zu sehen, unwiderstehlich, und aller Ehrgeiz läßt nach.« Diese Einsicht von William V. Shannon wirft ein besonderes Licht auf Patricks Persönlichkeit und erklärt, warum seine wahren Leistungen im historischen Dunkel verborgen geblieben sind. Sie hebt Patrick noch deutlicher ab von seinem Bischofskollegen und Konfessionsbruder, dem
von sich selbst besessenen Augustinus.
Die Wechselbeziehung zwischen Patrick und seinem adoptierten
Volk ist gut nachzuvollziehen. In der temperamentvollen irischen
Kultur galt ein mystischer Umgang mit der Welt als normal – anders als in der kühleren, rationaleren römischen Welt. Trotz ihrer heidnischen Finsternis und Instabilität war die irische Umgebung dem
ungebildeten Hirtenjungen, zu dem Gott gesprochen hatte, am Ende
angenehmer. Sein eigentliches Zuhause im römischen Britannien war ihm fremd geworden. Aber die Iren gewährten Patrick mehr als nur
ein Zuhause – sie gaben ihm eine Rolle, seinem Leben einen Sinn.
Denn nur dieser ehemalige Sklave besaß das richtige Gespür, um den 126
Iren eine neue Geschichte nahezubringen, eine, die all ihre alten Geschichten erklärte und ihnen einen Frieden brachte, den sie vorher nicht kannten.
Patricks Geschenk an die Iren war sein Christentum – das erste en-tromanisierte Christentum in der Menschheitsgeschichte. Ein Chri-
stentum ohne den soziopolitischen Ballast der gräko-romanischen
Welt, ein Christentum, das sich vollständig in die irische Kultur eingliederte. Das Christentum war durch den Edikt von Mailand, der die neue Religion im Jahre 313 legalisierte und zur Lieblingsbeschäfti-gung des neuen Kaisers machte, nach Rom vorgedrungen, nicht
umgekehrt! Die römische Kultur veränderte sich durch den Aus-
tausch nur wenig, und es kann behauptet werden, daß das Christen-
tum dabei viel von seinem Charakter verlor. Durch Patricks Vermittlung dagegen wurde Irland, dem die Macht und die
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