Wie die Iren die Zivilisation retteten
eines ganzen Klosters von Männern, die in kleinen bienenstockartigen Hütten um eine Kirche herum leben. Als Abt, als Vater seiner Herde, der an
Christi Stelle steht, muß der einstige Eremit natürlich über seine neue Rolle und die Würde seiner Kirche nachdenken. Daher eine weitere
Bitte:
Eine hübsche Kirche, ein Haus für Gott,
Geschmückt mit feinem Leinen,
Wo über die weiße Bibelseite
Die Bibelkerzen scheinen. Da er schon so weit gekommen ist, verspürt der »Eremit« nun das Bedürfnis nach einem richtigen Gebäude, das
weitläufig genug ist, um den unterschiedlichen Funktionen eines
großen, gutsituierten Klosters Raum zu bieten. Doch dem Dichter
gelingt es, dieses Gebäude in seiner Bitte immer noch klein darzustellen:
Ein kleines Haus, in dem alle wohnen
Und ihren Körper pflegen können,
Wo niemand Lust oder Hochmut zeigt
Oder einen bösen Gedanken hegt.
In den letzten Versen erhaschen wir einen Blick auf die Klosterkultur in ihrer ganzen Pracht: auf das geschäftige, reiche – und unbesteuerte
– Zentrum der neuen irischen Zivilisation, wo Einsamkeit und Stille aber selten gewesen sein dürften:
Und alles, was ich für meinen Haushalt brauche,
Bekomme ich, ohne zu zahlen,
Lauch aus dem Garten, Geflügel, Wild,
Lachs und Forelle und Bienen.
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Meinen Anteil an Kleidern und Essen
Vom König mit dem lieblichsten Gesicht,
Und ich sitze zuweilen allein
Und bete an jedem Ort.
Ton und Inhalt haben sich vom blutrünstigen Tain bis zu den stillen Freuden des »Eremiten-Liedes« auffallend verändert. Beide Texte sind humorvoll, doch der rauhe Humor des Mythenzyklus hat sich in eine Art selbstkritische, klösterliche Heiterkeit verwandelt. Und auch wenn der sanfte Rhythmus dieser Selbstkritik die Ichbezogenheit
nicht ganz verschleiern kann (der Dichter ist auf jeden Fall sehr von sich überzeugt), hat sich das charakteristische Ausmaß von Menschen und ihren Besitztümern verringert: Alles im Zusammenhang mit
Cuchulainn war riesenhaft; alles im Zusammenhang mit dem Eremi-
ten ist entzückend klein. Während die Farben des Tain glänzendes Metall und unstete Schatten waren, erscheint die Welt des Eremiten in klarem Licht, das jedes Ding bescheint, so daß jede Einzelheit deutlich in den ihr eigenen reichen Farben zu erkennen ist, wie die Miniaturen in einem frühen Evangeliar. Heiligkeit ist das herausstechende
Merkmal, und Klarheit, Sauberkeit, Erleuchtung und Leichtigkeit
durchziehen das Gedicht.
Plan eines frühen irischen Klosters
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Die erwünschten Extreme des Grünen Martyriums gingen also
größtenteils – und sehr rasch – im Klosterleben auf, einer Bewegung, die, obwohl Nährboden für jede Art von Exzentrik, solche Tendenzen in eine Art Gesellschaftsvertrag einband: Da es in Irland keine Städte gab, entwickelten sich die Klöster schnell zu den ersten Bevölke-rungszentren, Stätten beispiellosen Wohlstands, der Kunst und des Wissens.
Irlandwar und blieb Irland, und deshalb sollten wir die neue Ein-heitlichkeit seiner Kultur nicht überbewerten. Es gab immernoch viele Stammesfehden. Manchmal zog sogar ein Kloster gegen das
andere ins Feld. Geschichten von einzelnen Ekstatikern und Verrückten gab es so häufig wie immer – ob nun die von Sweeney, dem
König, der sich für einen Vogel hielt und sein Leben auf Bäumen
verbrachte, oder die von Kevin von Glendalough, einem Einsiedler
aus dem sechsten Jahrhundert, der in einem Loch in einer Klippe
wohnte und im Winter stundenlang splitternackt im eisigen Wasser
des Sees stand* oder sich im Sommer, ebenfalls splitternackt, in einen Busch giftiger Nesseln warf.
Doch auch Kevin gab schließlich auf und ließ zu, daß sich eine klö-
sterliche Gemeinde um ihn bildete. Sie paßten nicht alle in das Loch in der Klippe (das man heute noch sehen kann, es ist 1,20 m breit, etwa 2
m lang und 1 m tief), und so fand Kevin sich nach einigem Zögern
bereit, sich ans ebene Ufer zu begeben, wo seine Jünger eine kleine Kirche bauten und für ihren Herrn aus Bruchsteinen eine Hütte in
Form eines Bienenstockes errichteten – ein Wunder intuitiver irischer Baukunst, das noch heute steht. Für sich selbst bauten sie Flecht- und Lehmhütten, die längst verschwunden sind. Obwohl sie einzeln
wohnten, versammelten sie sich zu den festgelegten Stunden zum
Singen, standen jede Nacht zweimal auf und trotteten in Kälte und Dunkelheit in die Kapelle, um die Messe zu singen. Dieses Bild mönchischer Hingabe ist uns
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