Wie die Iren die Zivilisation retteten
schwer zu
verdrängenden Traditionen Roms fehlten, in die Christenheit aufgenommen und verwandelte sich in etwas Neues, etwas nie zuvor
Dagewesenes: eine christliche Kultur, in der Sklaverei und Menschenopfer undenkbar wurden und die kriegerischen Auseinandersetzun-
gen zwar nicht völlig verschwanden, aber doch merklich seltener
wurden. Die Iren genossen den physischen Wettstreit zu sehr, um das Kriegshandwerk ganz aufzugeben. Doch die neuen Gesetze, die unter dem Einfluß der christlichen Gebote standen, dämmten diese Konflikte ein, indem sie verlangten, daß die Waffen nur aus gewichtigem
Grund erhoben würden. Bis Brian Boru im elften Jahrhundert die
Wikinger in die Flucht schlug, sollte Irland keine Schlacht mehr
erleben, wie sie in Tain beschrieben ist.
Auch wenn diese verwandelten Krieger-Kinder Patricks ihre
Schwerter niederlegten, ihre Opfermesser fortwarfen und die Ketten der Sklaverei abschüttelten, blieben sie doch eindeutig Iren. Das Überleben ihrer psychologischen Identität ist eines der Wunder der irischen Geschichte. Anders als die Kirchenväter des Kontinents
gaben sich die Iren nicht allzuviel Mühe mit der Ausrottung heidnischer Einflüsse. Sie zwinkerten mit den Augen und freuten sich. Die heidnischen Feste wurden weiterhin gefeiert, und deshalb können wir heute noch die irischen Feiern zum Maifeiertag und zu Halloween
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begehen.* Bis zum heutigen Tag gibt es eine Stadt in Kerry, in der jedes Jahr im August ein Fruchtbarkeitsfest gefeiert wird, bei dem ein großer Ziegenbock wie Cernunnos drei Tage und Nächte lang den
Vorsitz führt. Bacchanalisches Trinken, wildes Tanzen und zahlreiche sexuelle Eskapaden stellen die Hauptunterhaltung dar. Die typisch irische Mischung aus Heidentum und Christentum ist auch das Thema von Brian Friels wunderbarem Theaterstück Tanz an Lughnasa.
Lughnasa ist das Erntefest für den Gott Lug, das in Teilen von Ulster immer noch am 1. August gefeiert wird. Die irischen Ehevorschriften sind größtenteils unrömisch geblieben. Bis zum zwölften Jahrhundert
– sieben Jahrhunderte nachdem die Iren zum Evangelium konvertier-
ten – konnten Mann und Frau ihre Trennung bekanntgeben und am 1.
Februar, dem Tag von Imbolc, auseinandergehen – was bedeutete,
daß die irische Ehe jedes Jahr erneuerbar war wie ein Zeitschriftenabo oder eine Versicherungspolice. Noch im letzten Jahrhundert ritten nackte Männer (und, soweit man weiß, auch Frauen) bei Flut über die Strände von Clare und sahen dabei aus wie ihre prähistorischen
Kriegerahnen. Doch nach Patrick schrumpften die bösen Götter und
verloren ihren Schrecken; sie wurden zu den komischen Wasserspei-
ern der mittelalterlichen Vorstellungswelt, die ängstlich aus unwürdigen Winkeln hervorlugen, und es erstarkte der Glaube, daß es etwas gibt, das der Teufel nicht ertragen kann: Gelächter.
Edmund Campion, ein elisabethanischer Jesuit, der 1581 in Tyburn
zum Märtyrer wurde, hat uns eine Beschreibung der Iren hinterlassen, die auch heute noch treffend erscheint:
Die Menschen sind folgendermaßen geartet: religiös, offen, amou-
rös, zornig, können unendliche Schmerzen ertragen, sehr stolz, viele Hexenmeister, hervorragende Reiter, kriegsbegeistert, große Almo-senspender, überragend in ihrer Gastfreundschaft... Sie sind scharfsinnig, wißbegierig, fähig, zu ergründen, was sie interessiert, be-
* Die Maifeier, oder Beltaine, war ein Frühlingsfest mit Freudenfeuern, Maibäumen und sexueller Freizügigkeit; die letzte Nacht im Oktober, Samain genannt, galt als Winteranfang und war die Nacht, in der Geister und andere unfreundliche Kreaturen aus der anderen Welt die Lebenden erschrecken durften.
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ständig in der Arbeit, abenteuerlustig, hartnäckig, gutherzig und zurückhaltend mit Mißfallen.
In diesem elisabethanischen Gruppenporträt erkennen wir nicht nur die heutigen Iren, sondern ebenso die lebendigen Geister der irischen Vergangenheit – Ailil, Medb, Cuchulainn, Derdriu und, auf gewisse Weise, auch Patrick. Ob Freud nun recht hatte oder nicht, als er verzweifelt ausrief, die Iren seien das einzige Volk, dem mit der Psycho-analyse nicht zu helfen ist – an einer Tatsache herrscht jedenfalls kein Zweifel: Die Iren werden sich niemals ändern.
Der einzige Punkt in Campions Beschreibung, den wir nicht gleich
mit den Figuren aus dem Tain in Verbindung bringen, ist der Hinweis auf die Gelehrtheit – »wißbegierig, fähig, alles zu ergründen, was sie interessiert«.
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