Wie die Iren die Zivilisation retteten
erhalten geblieben, weil einer von ihnen es
* Das irische Wort glen bezeichnet ein Tal, das von Klippen oder Felsen gebildet wird.
Glendalough ist damit das Tal zwischen zwei Loughs oder Seen. Kevin stand lieber im Oberen See, der abgeschiedener lag – und wahrscheinlich kälter war.
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als Beispiel verwendete, um einige archaische Worte in einer irischen Grammatik zu erklären, die er kopierte:
Der Wind klagt über dem Hog’s-Bach,
Er greift nach den Bäumen und drückt sie nieder,
Und zitternde Mönche gehen über gefrorene Steine
Zu den beiden Stunden der Nacht.
Bald war auch das Ufer des Oberen Sees nicht mehr ausreichend für Kevins Gemeinde, denn es kamen Menschen aus ganz Irland, um zu
Füßen der Mönche zu sitzen und alles zu lernen, was sie ihnen bei-bringen konnten. Auf einer Ebene östlich des Unteren Sees errichteten die Mönche eine Art Universitätsstadt, in die Tausende hoffnungsvol-ler Studenten aus ganz Irland strömten, dann aus England und
schließlich aus ganz Europa. Die Mönche vergaßen die uralte irische Tugend der Gastfreundschaft keinen Augenblick und schickten niemanden fort, wie wir in der folgenden Beschreibung einer typischen Universitätsstadt lesen können, die uns Beda Vernerabilis hinterlassen hat – der erste Historiker des neu aufstrebenden englischen Volkes:*
Viele Adlige der englischen Nation und auch geringere Männer
hatten sich aufgemacht und ihr Heimatland verlassen, um entweder
zu lernen oder ein asketischeres Leben zu führen. Und viele von
ihnen verschrieben sich tatsächlich bald überzeugt dem Klosterle-
ben, andere widmeten sich lieber dem Lernen und gingen von einer
* Zu Patricks Zeit war die britische Insel von romanisierten Kelten bevölkert, die wir Briten nennen, und im Norden von den nicht romanisierten und grimmigen Pikten, die ihren Körper mit Bildern bemalten und die Römer, die sie Picti (bemalte Menschen) nannten, erschreckten. Patrick war ein romanisierter keltischer Brite – kein Engländer. Die germanischen Angeln, die zu Patricks Zeit mit ihren germanischen Vettern, den Sachsen und Jüten, die südliche und östliche Küste Britanniens belagerten, ließen sich bald in Britannien nieder und drängten die romanisierten Kelten nach Wales und Cornwall ab. Dieses neue Volk, zunächst heidnisch, im siebten Jahrhundert aber evangelisiert von einem römischen Bibliothekar namens Augustinus ( nicht von Hippo), gaben dem neuen Heimatland ihren Namen, Angland oder schließlich England.
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Meisterzelle in die andere. Die Iren nahmen sie alle bereitwillig auf und bemühten sich, sie Tag für Tag zu unterstützen mit Nahrung
ohne Bezahlung, Büchern für ihre Studien und unentgeltlichem Un-
terricht.
Wir erfahren also durch den aufmerksamen Beda, daß die irischen
Kloster-Universitäten sowohl Bürger als auch Adlige und alle diejenigen aufnahmen, die zwar lernen, sich aber nicht von der Welt zurück-ziehen wollten.
Die Großzügigkeit der Iren erstreckte sich nicht nur auf unter-
schiedliche Menschen, sondern auch auf unterschiedliche Ideen. Sie kümmerten sich ebensowenig um eine einheitliche religiöse Einstellung wie um die Uniformität des Klosterlebens und trugen in ihre
Klosterbibliotheken, was immer sie in die Hände bekamen. Sie waren entschlossen, nichts auszuklammern. Sie hatten nicht die Skrupel des heiligen Hieronymus, der fürchtete, in der Hölle brennen zu müssen, weil er Cicero gelesen hatte. Nachdem sie gelernt hatten, das Evangelium zu lesen und die anderen Bücher der Heiligen Schrift, die Le-bensgeschichten der Märtyrer und Asketen und die Predigten und
Kommentare der Kirchenväter, verschlangen sie an alter griechischer und lateinischer Heidenliteratur, was ihnen in den Weg kam. Ihr
ungebremster Universalismus schockierte die konventionellen Kir-
chenmänner, die gelernt hatten, die christliche Literatur als die höchste zu bewerten und einen weiten Bogen um die zweifelhafte Moral
der heidnischen Klassiker zu machen. Ein gelehrter britischer Geistlicher namens Aldhelm von Malmesbury, der selbst von Iren erzogen
worden war (und daher wußte, wovon er sprach), warnte einen
jungen sächsischen Studenten in einem Brief vor den »antiken Fabeln«
und anderen Versuchungen der irischen Ausbildung: »Welchen
Nutzen bringt es dem Sakrament des orthodoxen Glaubens, über den
Büchern zu schwitzen und von der vergifteten Lüsternheit einer
Proserpina oder einer Hermione zu lesen, der wollüstigen
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