Wie die Libelle in der Wasserwaage
reihte, so wie kleine Jungs aus Legosteinen Autos bauen.
Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andren zu. Wer andren eine Grube gräbt, fällt selbst hinein . Sie hätte genug zu sagen gehabt. Ich ärgerte mich schwarz darüber, dass mir dieser Quatsch nicht aus dem Kopf gehen wollte, am Tag danach. Am Tag nach der Katastrophe.
Ich hatte einen durchschnittlichen Kunden akquiriert. Der Typ war Anfang Sechzig und ziemlich unauffällig. In einer Reihe von mehreren Personen hätte man ihn glatt übersehen, und ich hätte auch nicht sagen können, ob er in meiner Animationsgruppe gewesen war oder nicht, wenn er nicht so gut in mein Beuteschema gepasst hätte. Seine ebenso blasse Gattin verbrachte die Tage am Pool, wo sie einfache Romane für schlichte Gemüter las. An Animation war sie, wie so viele Ehefrauen dieser Alters- und Gesellschaftsklasse, nicht interessiert, aber froh darüber, den Gemahl für eine beruhigend lange Zeitspanne auf harmlose Art beschäftigt zu wissen und derweil ungestört ihre Ruhe auszukosten.
Mit diesem Wissen im Hinterkopf beobachtete ich ihn während der Animationen ganz genau und spulte mein Verführungs-Repertoire ab. Wie erwartet sprang er darauf an. Männer in diesem Alter, die schon lange verheiratet sind, die aus einer bestimmten Schicht kommen und in deren Leben eigentlich alles gelaufen und nichts mehr zu erwarten ist, die springen immer auf eine junge Frau an, die ihnen schöne Augen macht. Sie sind so einfach gestrickt und so durchschaubar!
Zunächst lief alles wie geplant. Er trank an der nächtlichen Bar einen Whiskey-Sour mit unserer geheimen Zutat und war zwanzig Minuten später platt. Wir machten unsere Aufnahme, danach verschwand ich in meinem Zimmer. Das hatte sich inzwischen so eingespielt und ich hatte mich damit abgefunden, dass ich nicht hinter Marios Rücken höhere Forderungen stellen konnte. Auch lag ich nicht mehr wach, die Gewöhnung ist gut für die Nerven. Ich schlief sofort ein.
*
Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte, als Mario mich wachrüttelte. Er war kreidebleich und ziemlich aufgelöst. Unser Kunde atmete nicht mehr.
Nun hieß es, die Nerven zu bewahren. Wenn es wirklich ernst ist, funktioniert mein sonst oft so konfuses Hirn ganz gut. Glasklar durchdachte ich die Situation. Würden wir einen Notarzt rufen, könnten wir nicht sicher sein, dass zur Ergründung der Todesursache keine Nachforschungen betrieben würden. Ließen sich K.O.-Tropfen im Blut nachweisen? Ich hatte keine Ahnung. Hatte es bei CSI mal einen Fall mit K.-O.-Tropfen gegeben? Ich konnte mich nicht erinnern. Aber sicher ist sicher. Es war März 2004, die dritte Staffel von CSI war gerade zu Ende gegangen. Ich hatte genug gesehen, um zu wissen, dass man im Zweifel alles nachweisen kann.
Aber es gab trotzdem einen Ausweg. Es gibt immer einen Ausweg, wenn man nur wirklich ernsthaft danach sucht. Unser Club hatte nämlich eine Art Vertrauensarzt. Dr. Stehnken kam aus Deutschland und hatte dort einige Jahre lang praktiziert. Man munkelte von irgendwelchen dubiosen Vorkommnissen, die ihn eines Tages veranlassten, seine Zelte in Deutschland abzubrechen. Ungenauigkeiten in der Medikation, Fehldiagnosen, Wechselwirkungen zwischen einzelnen Medikamenten, die er nicht bedacht hatte, die Gerüchteküche wehte ein recht weites Spektrum von Vermutungen durch die Gespräche hinter vorgehaltener Hand.
Er hatte eine Praxis in Playa des Ingles eröffnet und lebte ganz gut von deutschen Touristen und ihren Zipperlein. Aber offensichtlich nicht gut genug, denn er hatte auch ein Abkommen mit unserem Ferienclub, das eine Win-Win-Situation für beide beteiligten Parteien garantierte. Ging es einem unserer Feriengäste nicht gut, so rief man Dr. Stehnken. Sollte es sich dann herausstellen, dass die Indisposition auf gewisse Sorglosigkeiten im Bereich der Küchenhygiene unseres Club-Restaurants zurückzuführen war, so pflegte Dr. Stehnken den Patienten zu beruhigen, indem er dessen Symptome einer grassierenden Virusinfektion zuschrieb, die auch in anderen von ihm betreuten Hotels schon zahlreiche Opfer von Malaisen wie Erbrechen oder Dauerdurchfall gefordert hatten. Ein paar Kohletabletten, Bettruhe, Kamillentee und Zeit, dann werde alles wieder gut. Dr. Stehnken war ein verlässlicher und vor allem schweigsamer Vertrauensarzt, auf den konnte man zählen.
Wir zogen unserem Opfer also seine Sachen wieder an, was noch schwieriger war, als einen Betäubten zu entkleiden. Dabei
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