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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
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dunkelblaue, goldverbrämte Operetten-Uniform zu tragen. Sein blaugrau meliertes Haar hätte man vor einem Jahrhundert als pomadisiert bezeichnet. Aber diese Epoche war ja vorbei. Eine zeitgemäßere Beschreibung fiel mir indes nicht ein. Der Attaché wirkte insgesamt wie aus der Zeit gefallen. Er war stets unterkühlt, höflich distanziert und hatte geschliffene Umgangsformen. Ich sah ihn kaum.
    Die Hausherrin umriss meine Pflichten klar. In ihrer Abwesenheit hatte ich die Kinder zu betreuen und in ihrer Anwesenheit galt das Gleiche. Ich hatte mit ihnen zu spielen und regelmäßige Spaziergänge rund um die nahe Piazza Navona mit ihnen zu unternehmen, letzteres allerdings nur bei akzeptablem Wetter. Sie wies mir Bücher zu, die ich Concepcion und Alejandro vorzulesen hatte. Fernsehen war nicht erlaubt, basteln, singen und malen hingegen erwünscht. An den Abenden hatte ich frei und durfte auch Ausgang nehmen, es sei denn, Madama und ihr Gatte befanden sich auf einem der zahlreichen Empfänge, die in der Stadt stattfanden, in der Oper oder bei einem klassischen Konzert.
    An den Wochenenden fuhr die Familie während der wärmeren Monate ans nahe Meer und verbrachte die Nacht zum Sonntag in einem edlen Jugendstilhotel mit Kinderbetreuung, auch dann hatte ich frei. Im Winter besuchte man Museen, noble Restaurants und befreundete Diplomaten. Dann wurde ebenfalls auf meine Anwesenheit verzichtet. Die Kinder blieben meist bei Maria Pilar, die daran gewöhnt war. Sie hatte die beiden im Wesentlichen seit deren Geburt betreut und aufgezogen. Fest umrissene Arbeitszeiten gab es für sie nicht, Maria Pilar war immer im Dienst und schien das völlig normal zu finden.
    *
    Nur ihrem gehobenen gesellschaftlichen Stand war es zu verdanken, dass die Kinder normale, ehrenwerte Vornamen wie Concepcion und Alejandro trugen, lernte ich. In Venezuela galt es nämlich als schick, die Kinder mit aberwitzigen Phantasienamen auszustatten, so erzählte Maria Pilar. Maolenin, Usnavy, Hugosalvador, alles war möglich, je irrwitziger, desto besser. In den besseren Kreisen vermied man jedoch solche Auswüchse, nicht nur um sich von den niederen Klassen abzusetzen. Wer könnte sich schließlich einen einflussreichen Politiker namens Frodobeutlin vorstellen oder eine Professorin namens Pequeñoratón, zu Deutsch: Mäuschen. In Dienstbotenkreisen taufte man seine Kinder auf klassische Dienstbotennamen, um Probleme bei der späteren beruflichen Laufbahn von vorne herein auszuschließen. So war das. Deshalb trug sie den braven Namen Maria Pilar, die beiden Kleinen edle Klassiker wie Concepcion und Alejandro.
    *
    Es waren reizende, wohlerzogene Kinder, zumindest, solange ihre Eltern in der Nähe waren. Doch wie schon meine Großmutter immer sagte, wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch.
    Verließ Madama das Haus, so vergingen nur wenige Minuten, bis die Streiterei losging. Concepcion warf ein Spielzeug nach Alejandro, woraufhin dieser sich auf sie stürzte und an ihren Haaren riss. Sie schrien und tobten, sie brüllten sich an. Es war zum Haareraufen.
    Am schlimmsten war es, wenn die beiden sich ums Essen zankten. Keiner von beiden gönnte dem anderen irgendetwas, nicht mal das Schwarze unter dem Fingernagel. Die ständige Angst, zu kurz zu kommen, beherrschte ihre kleine Kinderwelt wie ein blutrünstiger Diktator. Jedes Bonbon, jedes Eishörnchen, das der andere bekam, wurde mit Argusaugen begutachtet und mit dem eigenen verglichen. Selbstverständlich blieb es nicht beim Futterneid, kamen Geschenke und Spielsachen ins Spiel, dann steigerte sich die Missgunst bis ins Uferlose. Es waren grässliche Kinder. Widerliche kleine Teufelchen. Ich verabscheute sie.
    Zunächst versuchte ich, sie mit guten Worten und Erklärungen auf pädagogisch wertvolle Weise zur Vernunft zu bringen. Dieses aberwitzige Vorhaben scheiterte grandios. Als ich die Schreierei mit Gebrüll beantwortete, erntete ich nur eskalierenden Tumult. So gab ich auf. Ich ließ sie streiten und ging aus dem Zimmer. Maria Pilar nickte mir verständnisvoll zu. Sie hatte ihre eigene Problemlösungsstrategie. Gemeinsam mit meiner Vorgängerin, einem Au Pair-Mädchen aus Rumänien, hatte sie die Kinder erfolgreich auf eine Lösung zur beiderseitigen Zufriedenzeit konditioniert. Energisch befahl sie einen Moment der Aufmerksamkeit, nahm den beiden Bestien routiniert ein hochheiliges Gelübde ab, gegenüber den Eltern zu schweigen, reichte ihnen alsdann ein Eis und schaltete

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