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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
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Zumutung für jeden anderen Menschen, echt. Immer schlecht gelaunt, schimpfte, nörgelte und keifte er den ganzen Tag vor sich hin. Besonders hatte er es auf Tafari abgesehen, er schreckte nicht davor zurück, ihn mit Worten wie Nigger, Schwatter, Zulukaffer oder Mohr zu bedenken. Ich schämte mich sehr für Josef Zimbach. So ein Kotzbrocken!
    Der Kerl war einundneunzig Jahre alt. Ein taffes Alter für einen Mann, die Lebenserwartung von Männern ist ja nicht so hoch. Ich fragte mich, warum ausgerechnet einer wie er so ein biblisches Alter erreichen musste. Es gab doch sicher Bessere, die das eher vierdient hatten, und die lange vor der Zeit dahingerafft wurden. Das Leben ist einfach ungerecht. Oder?
    Erschwerend kam hinzu, dass Josef Zimbach keine wirklich ernsten Leiden hatte. Die üblichen Alterssymptome wie nachlassende Beweglichkeit, okay, aber im Wesentlichen funktionierte sein Leib noch tadellos, trotz jahrzehntelangen Gebrauchs. Regelmäßiges Turnen, so postulierte er oft, habe seinen Körper fit erhalten, außerdem habe er immer nur Wasser und Tee getrunken und viel gesottenes Gemüse verzehrt. Was ihn mir nicht unbedingt sympathischer machte.
    Seiner Akte entnahm ich, dass er Gymnasiallehrer von Beruf gewesen war, und zwar für die Fächer Deutsch, Latein und Geschichte. Die schwarze Pädagogik, die er da praktiziert hatte, wollte ich mir gar nicht ausmalen. Seine Schüler hatten ihn bestimmt gehasst. Die armen, ausgelieferten Würstchen.
    Außerdem hatte er sich als CDU-Mitglied in der Regionalpolitik engagiert. Ich sah ihn vor mir, wie er mit bebender Stimme bedeutungsschwere Reden vor dem Kommunalrat hielt. Das war vermutlich wie beim Parteitag der NSDAP oder so. Aber in der kommunalen Stammtischbrüdergesellschaft hatte er sich mit Sicherheit unter Gesinnungsgenossen austoben können, wer weiß, wie die anderen alten Rotzsäcke drauf waren.
    Stutzig machte mich auch die Literatur, die er in seinem Zimmer aufbewahrte. Bücher von Hjalmar Kutzleb, Gottfried Rothacker, Kuni Tremel-Eggerts, Ina Seidel und anderen, die mit rechtsradikalem Gedankengut konform gegangen waren, reihten sich hier scheinbar unschuldig im Regal aneinander. Ich kannte diese Namen, denn wir hatten in der Oberstufe ein Arbeitsprojekt zum Thema Nazi-Literatur durchgeführt, das ich allerdings nur widerwillig über mich hatte ergehen lassen. Dieser langweilige Mist aus Tagen düsterer Vergangenheit interessierte mich nun echt nicht. Umso mehr klingelten jetzt die Alarmglocken der Erinnerung, als mir die Namen ins Auge fielen. Zum Gruseln war das doch alles!
    Seine rassistischen Parolen passten perfekt in dieses Gesamtbild. Eines Tages befragte ich ihn – scheinbar harmlos – zu seiner persönlichen Geschichte, denn ich wollte Näheres über die zugehörige politische Gesinnung erfahren.
    Unumwunden bekannte er sich zu seiner nationalistischen Einstellung. Diese ganze Unterwanderung unseres schönen deutschen Landes durch unzivilisierte Ausländer werde den Untergang des hochkulturellen Abendlandes nach sich ziehen. Die deutsche Kultur in all ihrer Bedeutungsschwere und Einmaligkeit werde untergraben und vernichtet. Ich würde das noch miterleben, wohingegen ihm rechtzeitig die Gnade des Todes gewähret werde, so referierte er in dramatischem Tonfall.
    Ach, damals, in seiner Jugend, da sei die Welt so klar gewesen. Was für eine Katastrophe, dass Deutschland den Krieg verloren hätte, mit einem Sieg wäre diese Welt eine andere, nämlich eine perfekte geworden, beseelt von guten, reinen Menschen, frischen, sauberen Frauen und tüchtigen, mutigen Männern. Sicher, der alte Adolf hätte nicht alles richtig gemacht. Es sei wohl ein Fehler gewesen zu meinen, an allen Fronten gleichzeitig kämpfen zu müssen. Und das mit den Juden – naja. Schlimme Sache, aber andererseits müsse man das aus dem historischen Kontext heraus betrachten, die Juden seien in Europa schon immer verhasst gewesen. Deshalb sei der Blickwinkel damals doch nachvollziehbarerweise ein ganz anderer gewesen.
    Und man müsse jetzt nur einmal hinsehen. Was denn bloß aus diesem Land geworden wäre, statt aufrechter, stählerner und properer Deutscher müssen man hier nun lauter Fremde um sich dulden, noch dazu ausgerechnet Neger!
    Ich schluckte. Wie krass! Die Nazis hatten für mich zu einer ausgestorbenen Spezies gehört. Und plötzlich saß einer vor mir, wirklich und leibhaftig. Ich war sprachlos.
    *
    Die Monate vergingen und schmolzen zu einem täglichen Einerlei

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