Wie die Libelle in der Wasserwaage
übereinander. Dazu trug sie eine ganze Batterie von Armreifen, die bei jeder Bewegung schepperten, sodass man sie schon von weitem kommen hören konnte. Wie Belchdosen hinter einem Hochzeitsauto, ehrlich. Sie schminkte sich grell, wobei sie immer den Lippenstift grob über die natürliche Form ihres Mundes hinauszog und den Augenbrauenbogen viel zu hoch über den ausrasierten natürlichen Brauen ansetzte, was total lächerlich aussah. Sie selbst konnte wohl nicht mehr so genau gucken, sie fand sich bestimmt ultracool.
Ihr Mann trug Blue Jeans, die wie Fremdkörper seinen hageren Altmännerleib umschlabberten, zum Schreien komisch, wirklich. Das dünne, graue Haar, das ihm verblieben war, war auf Kinnhöhe gestutzt und rahmte wirr und formlos sein Gesicht. Beide gingen lächerlich aufgesetzt formvollendet miteinander um, doch hinter der Fassade lauerte ein kaum greifbares Misstrauen, als seien sie zwei Königskobras, die sich abschätzend umkreisten, ununterbrochen vorsichtig den anderen beobachtend, vielleicht, um im geeigneten Moment der Schwäche zuzuschlagen. Das war wie absurdes Theater. Aber die zwei blickten offensichtlich echt nicht, wie blöde sie für uns andere rüberkamen. Oder es war ihnen egal, wer weiß.
Eine der beiden Rollstuhlfahrerinnen hatte ein dubioses Nervenleiden, das ihre Beweglichkeit dramatisch einschränkte. Sie schien papierdünn, wobei ihre Haut eine irritierende gelblich-braune Verfärbung aufwies. Diese Frau war stets aufs äußerste kontrolliert, ihre Gestik war vornehm exaltiert, wie einstudiert, ihre Mimik maskenhaft. Wie eine Hexe, echt! Alles an ihr war die pure Beherrschung und ihre paralysierende Krankheit schien mir nichts anderes als die Ausdehnung dieser Beherrschung auf ihre Umwelt zu sein. Sie war die Diktatorin, wir die Sklaven ihres Leidens. Sie machte mir Angst. Meine Güte, fand ich die Frau widerlich!
Lotte Kremer war eine aus dem Sumpf der alten Säcke herausragende Ausnahme in diesem Heim. Sie war zwar auch schon dreiundneunzig Jahre alt, aber erstaunlich energisch, lustig und geistig rege. Gut, ihr Körper wollte nicht mehr so, wie sie es wollte, aber mit eisernem Willen erhielt sie sich ihre Beweglichkeit. Sie war gebeutelt von heftigen Gelenkschmerzen, gegen die es wohl kein wirkliches Hilfsmittel gab. Aber sie kämpfte mit aller Kraft dagegen an und ertrug ihr Schicksal klaglos. Das fand ich toll. Sie war eine erstaunliche, bewundernswerte Person, wie die liebe Omi, die ich nie gehabt hatte. Mit ihrer wachen Intelligenz und ihrem subtilen Humor steckte sie außerdem manch jüngeren Menschen locker in die Tasche. Die Zeit, die man mit ihr verbrachte, war ein Geschenk gegen alles andere, das ich auf dieser Station erfahren musste. Eine tolle Type, diese Frau Kremer. Hut ab.
Ich mochte Frau Kremer sehr und lernte schnell, sie zu bewundern. Ich fragte mich, ob ich selbst diese Energie und Willensstärke aufbringen würde, wenn ich eines Tages mal alt und krank wäre. Die Vorstellung war irgendwie absurd. Es gelang mir nicht, mich wirklich in sie hinein zu versetzen. Ich war jung. Der Jugend gehört die Welt, denn sie ist unsterblich. Zumindest fühlte ich mich so. Alter und Siechtum, die mir hier begegneten, hatten bisher nicht zu meinem Leben gehört, sie waren Gespenster aus einer anderen, einer fremden Welt. Dieser Zombie-Welt wollte ich nicht zu nahe kommen, ich achtete sehr darauf, emotionalen Abstand zu bewahren.
Denn diese Welt war nun echt nicht meine. Ich gehörte natürlich in die Welt des kraftstrotzenden Lebens. Von hier aus wandte ich mich umsorgend dem fernen Universum des Alters zu, spendete meine jugendliche Kraft, um mitfühlend Gutes zu tun. Das wiederum gefiel mir. Ich war in einer Position der Stärke gegenüber den mir Anvertrauten wie seinerzeit auf Gran Canaria. Nur nutzte ich sie hier nicht zu sinnloser Bespaßung, hier tat ich wirklich etwas Positives für die mir überantworteten Menschen. Ich fühlte mich sehr anständig, so als wandelte ich in den Fußstapfen der Mutter Teresa. Die dummen Geschichten, in die ich blöderweise früher in meinem Leben hineingeraten war, die würde ich damit schon wieder wettmachen. Das war ja wohl klar.
*
Wären alle Bewohner so wie Frau Kremer gewesen, dann hätte der Job vielleicht sogar Spaß gemacht. Aber sie blieb eine Ausnahme.
Im Nebenzimmer von Frau Kremer wohnte Josef Zimbach. Er war der einzige alleinstehende Mann auf unserer Station und wirklich schlimm, eigentlich unerträglich, eine
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