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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
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dient. Eigentlich macht man es aus einem besonderen, kostbaren Mehl, dem Teff, da dieses aber in Hamburg nicht zu beschaffen gewesen war, hatte Tafari notgedrungen stattdessen normales Weizenmehl verwendet. Der Teig muss einige Tage gären, so erklärte er, und wird dann zu weichen Fladen gebacken.
    Das Zeug war säuerlich, schwammig und matschig, schon irgendwie komisch, aber nicht uninteressant. Einen großen Fladen dieses Brotes drapierte er auf einem Kupfertablett und richtete darauf appetitliche kleine Häuflein von verschiedenen Gerichten an: Rindfleischragout, Tatar mit gewürzter Butter, Lammgulasch, Fischfilet mit Salat, Linsenbrei, Kichererbsen, gemischtes Gemüse und verschiedene Dips. Was für ein Aufwand! Er hatte bestimmt stundenlang gekocht.
    Zum Essen riss man dann von einem anderen Brotfladen ein Stückchen ab und ergriff mit dessen Hilfe die Speisen. Eine ganz schöne Matscherei war das, aber es schmeckte köstlich, scharf und exotisch. Und sich gemeinsam von diesem ungewöhnlichen Teller zu bedienen, hatte auf subtile Art etwas verführerisch Intimes.
    Zum Abschluss gab es eine Kaffeezeremonie. Diese sei seit vielen Jahrhunderten das bedeutendste Element der sozialen Kultur seines Landes, erzählte Tafari in verschwörerischem Ton. Mit einer Einladung zur Kaffeezeremonie spreche man dem anderen seine Hochachtung und ehrliche Freundschaft aus. Kaffee, das sei seinen Leuten heilig. Dieser geheimnisvolle Trunk, der vielleicht die Menschen aus dem Sumpf des Urpfuhls erhoben und sie erst zum Menschen gemacht hätte. Denn schließlich stamme der Kaffee ja auch ursprünglich aus seiner Heimat, wie er schon früher erzählt hätte. Das könne schwerlich ein Zufall sein. Aufregend, oder?
    Kein Mensch aus einem anderen Land sei dazu imstande, die Tragweite dieses Rituals wirklich nachzuvollziehen, geschweige denn den wahren Wert des Kaffees, dieses dunklen, geheimnisvollen Getränks aus dem Garten Eden, zu schätzen. Klar. Wir Banausen, die wir doch alle sind, dachte ich.
    Zunächst wurden die Kaffeebohnen über glühenden Kohlen, versetzt mit mysteriösen, stark duftenden Räucherstoffen, geröstet. Er machte das behutsam, langsam und mit äußerster Konzentration, bis die Bohnen schwarz glänzten und ein betörend starkes Aroma verbreiteten. Dann gab er sie in einen steinernen Mörser und bearbeitete sie so lange mit unnachgiebigen und doch fast zärtlichen, kreisenden Bewegungen, bis ein feines Mehl daraus geworden war. Das Mehl beförderte er mit sensiblem Feingefühl in eine Messingkanne mit kugelförmigem Bauch, so, als hantiere er mit kostbarem Goldstaub.
    Der Kaffee wurde mit Wasser aufgekocht, anschließend mehrfach durch ein feines Sieb gegossen und dann aus beachtlicher Höhe mit dünnem Strahl in kleine Tässchen geschüttet. Ich war beeindruckt von dem heiligen Ernst, mit dem er all diese Handlungen durchführte. Der Kaffee war süß und wirklich gut. Berauscht von der Feierlichkeit der Situation lehnte ich mich in die dunklen, afrikanischen Kissen zurück. Ich fühlte mich wie auf einem vollkommen fremden, psychedelischen Trip und gab mich dem ganz hin.
    *
    Später dann, als die Rückkehr in den Alltag leise drohend an meine Pforten zu klopfen begann, lag mein Kopf an Tafaris Schulter. Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, die Lasten des Berufsalltags bei Verlassen des Heimes dort zurückzulassen, dachte ich an Frau Kremer. Schließlich teilte ich meinen Kummer mit Tafari.
    Lange hörte er mir schweigend zu, während ich und meine Worte um das Leid der alten Frau und meine eigene Hilflosigkeit kreisten. Dann hob er sanft mit den Händen meinen Kopf von seiner Schulter, sah mir fest in die Augen und fragte mich, ob ich mir absolut sicher darüber sei, dass Frau Kremer sterben wolle.
    Ich bejahte erstaunt. Worauf wollte er hinaus?
    Wenn ich wirklich sicher sei, müsse man ihren Geist befragen, fuhr er fort. Als Adam und Eva einander endlich erkannt hätten, damals im Paradiese, als sie noch die einzigen Menschen waren, da freuten sie sich sehr und lebten fortan glücklich miteinander, so wisse es die Überlieferung seines Landes seit Urzeiten. Sie zeugten dreißig Kinder, doch nur die Hälfte davon gestanden sie Gott zu. Diese fünfzehn seien unsere Vorfahren.
    Die anderen fünfzehn aber seien als unsichtbare, dunkle Zwillinge der lebenden Menschen in die Welt der Geister eingegangen. Ihr Name sei „ Zar “, und jedem lebenden Menschen sei ein solches Wesen als Gegenpol beigegeben. Der Zar sei

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