Wie die Libelle in der Wasserwaage
Mehr wollte ich nicht von ihm. Also musste ich irgendwie daran kommen. Zumindest an eine kleine Abfindung, die meine Investitionen in unser gemeinsames Intermezzo auszugleichen vermochte. Das war doch mehr als angemessen!
Ich saß in meinem Dach-Refugium und grübelte. Ich grübelte Stunde um Stunde. Glücklich gelaufen war mein Plan wahrhaftig nicht. Aber es musste doch einen Ausweg geben, der nicht alles am Ende umsonst sein ließ! Im Leben gibt es immer einen Ausweg, egal wie vertrackt die Lage ist.
Deshalb blieb ich weiterhin zuvorkommend charmant gegenüber Hoch-Tief-Heinz. Ich hielt ihn am lang ausgestreckten Arm, wohl wissend, dass diese Taktik nicht allzu lange funktionieren würde.
Am neunzehnten Februar war Rosenmontag. Heinz fuhr auf dem Prunkwagen seiner Funken-Gesellschaft mit und warf großzügig Kamellen unter das Volk. Billige Kamellen, deren Einkauf sich trotzdem zu einer hübschen vierstelligen Summe addiert hatte. Aber das machte nichts. Hauptsache, Großzügigkeit demonstrieren. Eine uralte Geste des Großmutes, von mittelalterlichen Feudalherren, römischen Imperatoren und vielleicht schon steinzeitlichen Tyrannen adaptiert, fand hier ihren ritualisierten Ausdruck. Wie dumm das gemeine Volk doch war, diese Strategie nicht zu durchschauen. Kleine Gaben von den Mächtigen, um sie bei Laune zu halten. Brot und Spiele, wie seit Urzeiten!
Statt Würde zu wahren, stürzten sie sich wie hungriges Vieh aufeinander, wenn es darum ging, die in die Gosse hingeworfene, armselige Gabe zu erheischen, gleich Verhungernden, die um einen Krumen kämpften. Wie erbärmlich war das!
Ich hatte dank Heinz einen elitären Tribünenplatz, von dem aus ich diesem unwürdigen Treiben zusehen konnte. Das erniedrigende Schauspiel erschütterte mich zutiefst. In diese Welt gehörte ich nicht. Da musste mir entschieden etwas Besseres einfallen!
*
Alles, was ich bisher versucht hatte, war schief gegangen. Ich würde wohl oder übel noch einmal völlig neu anfangen müssen, von der Pike auf, das hieß, mein ganzer Lebensplan musste von Grund auf neu überdacht werden. Welcher Lebensplan eigentlich? Ich wusste doch noch immer nicht, was ich eigentlich wollte. Außer Geld. Dass ich das wollte, das wusste ich schon. Nur dieses Wissen allein reicht einfach nicht.
Ich brauchte eine Basis, die solider war als alles, was ich bisher ausprobiert hatte. Früher einmal, so erinnerte ich mich wehmütig, hätte ich gerne Biologie studiert. War es jetzt zu spät dafür? Ich war dreiundzwanzig Jahre alt, gegenüber den Hühnern, die frisch von der Schule kamen, fast schon ein Gruftie, aber in Anbetracht des ganzen Lebens, dass sich vor mir ausbreitete wie eine gigantische Landkarte mit vielen Straßen und Abzweigungen, die verschiedene Horizonte anstrebten, so entfernt, dass ich sie nicht einmal erahnen konnte, in Anbetracht all dessen war ich noch verdammt jung. Vielleicht sollte ich studieren!
Aber ein Studium muss man auch finanzieren. Ich überwand meinen inneren Schweinehund und rief meine Eltern an. Das hatte ich in den letzten Jahren sehr selten getan, nicht öfter als drei-, viermal im Jahr, zu Geburtstagen oder zu Weihnachten, immer war ich kurz angebunden gewesen und hatte das lästige Gespräch so schnell wie möglich beendet.
Umso mehr war meine Mutter erstaunt, als ich plötzlich und ohne sofort erkennbaren Grund einfach im Februar anrief und dann auch noch das Gespräch mit Small Talk über Gesundheit, Wetter und dies und das einleitete. Sie würgte das schließlich ab und fragte, was ich denn eigentlich von ihr wolle. Da erzählte ich ihr möglichst rührselig, wie dumm mein bisheriges Erwachsenendasein verlaufen sei, wie sehr ich das alles bereue und wie ich mich nach einem vernünftigen Leben sehnte, ganz so, wie sie es mir immer angeraten hätte. Sie hörte mir schweigend zu. Ich fuhr fort, dass ich mich nun entschlossen hätte, doch noch ein Studium zu beginnen, um auf diese Art zu einem ordentlichen Abschluss und prosperierenden Berufsaussichten zu kommen. Nur – sie wisse ja, das sei alles nicht so leicht, kurzum, ob sie und Papa es sich vorstellen könnten, mir bei der Finanzierung des Ganzen ein wenig unter die Arme zu greifen?
Die Antwort kam ohne zu überlegen und hieß schlicht und ergreifend: Nein.
*
Als Hoch-Tief-Heinz an diesem Abend recht spät nach Hause kam, fand er mich in Tränen aufgelöst auf einem der edlen Rolf-Benz-Sofas. Ach du lieber Himmel, was denn mit mir los sei, ob etwas passiert
Weitere Kostenlose Bücher