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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
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beschwichtigte Hoch-Tief. Das hätte er doch nun wirklich oft genug gesagt. Warum ich denn nur kein Vertrauen zu ihm hätte? Und ich solle aber nun so schnell wie möglich nach Hause kommen.
    Nach Hause? Sein blödes Gästezimmer konnte er mir doch wohl schwerlich als zu Hause anbieten? Oder meinte er etwa mehr?
    Das genau war mein Problem. Ich wollte nicht mehr zu ihm zurück, wusste aber keinen Ausweg. Mir musste dringend etwas einfallen, nur was? Wie serviert man einen Typen ab, dem man dreißigtausend Euro schuldet?
    *
    Ganz einfach. Man spielt die Nummer unschuldiges, hilfloses Mädchen und macht auf völlige Gefühlsverwirrung. Ich könne nicht damit umgehen, ihm so viel Geld zu schulden, und deshalb könne ich unter gar keinen Umständen noch mehr von ihm annehmen. Ich müsse erst einmal eine klare Linie für mich finden, von der aus ich dann die Situation besser überschauen und meine Gefühle endlich verstehen könne, erklärte ich ihm, als wir auf seinen luxuriösen, weichen Ledersofas saßen, nachdem er mich vom Bahnhof abgeholt hatte. Ich müsse mir eine eigene Wohnung suchen und einen Job, denn nein, ich könne mich ihm unmöglich noch weiter verpflichten, ich müsse endlich mein eigenes Geld verdienen. Dabei war ich wohl recht überzeugend, ich glaube, er hatte sogar Mitleid mit meinem inneren Durcheinander und Respekt vor meinem Wunsch, auf eigenen Füßen zu stehen. Eine direkte Gefahr für die Entwicklung unserer weiteren Beziehung zueinander ergab sich hieraus auch eigentlich auf den ersten Blick für ihn nicht. Ich war stolz auf mich.
    *
    Und ich war frei! Ziemlich schnell fand ich eine kleine Dachwohnung in einem schäbigen, grauen Haus im Kölner Stadtteil Bayenthal, wirklich nichts Tolles, aber meine erste eigene Wohnung! Von meinen Fenstern blickte ich auf der Straßenseite frontal auf das gegenüberliegende Haus, genauso grau, farblos und dazu erschreckend nah. Man hätte sich fast über die Straße die Hand reichen können, wenn denn da jemand gewesen wäre, dessen Hand man gerne ergriffen hätte.
    Auf der anderen Seite des Hauses lag ein sterbenslangweiliger Hof mit Autostellplätzen und Mülltonnen, begrenzt von einer hohen Mauer, hinter der einiges Grünzeug wucherte. Die gesamte rückwärtige Aussicht beherrschte eine unsägliche Monstrosität von Bauwerk: Ein riesiges, leicht geschwungenes Gebäude, das nur aus Glasscheiben zu bestehen schien, die zu allem Überfluss in einem grässlichen Kupfer-Orangeton eingefärbt waren. Es handelte sich um den ehemaligen Sitz des BDI, der schon 1999 nach Berlin umgezogen war. Seit dieser Zeit stand die Hütte leer, was mich nicht weiter wunderte. Wer will schon so etwas? Das Ding war eine barbarische Bausünde, die die Ugly Seventies der Stadt Köln hinterlassen hatten. Wenn sich abends die untergehende Sonne in seinen metallischen Fenstern reflektierte, dann schien es, als leuchte sie von zwei Seiten zugleich. Das war so surreal, dass es etwas Unheimliches hatte, so als wäre ich auf einem Planeten mit zwei Sonnen gelandet. Glücklicherweise schien die Sonne nicht allzu oft, sonst hätte ich noch Überlegungen angestellt, wie sich das Ding wegsprengen lassen würde.
    Vom Vormieter übernahm ich für fünfhundert Euro eine ziemlich heruntergekommene Billig-Küchenzeile, aber nun hatte ich Herd, Kühlschrank und ein paar Schränke, das war doch großartig! Ich besorgte mir eine günstige Matratze und bei einem Gebrauchtmöbelhändler einen Tisch, ein paar Stühle, einen klapprigen Schrank sowie einen Fernseher. Bloß nicht allein in der Stille sein!
    Die Sache mit dem Job ließ sich sogar noch einfacher klären: Ich fragte einfach Tom. Der suchte ständig Leute. Er zögerte keinen Augenblick, ich war seine neue Frau im Service! Tom war echt ein Schatz.
    Nachdem sich die Rahmenbedingungen so schnell geklärt hatten, vereinbarte ich erst mal einen Termin bei der Studienberatung. Wie sich herausstellte, war das allerhöchste Zeit, denn die Frist zur Bewerbung um den Studienplatz für das nächste Wintersemester lief Ende März aus. Ich entschied mich für den Bachelorstudiengang Geowissenschaften. Das klang doch irre aufregend! Gleich im ersten Semester würde ich mich mit der Erde, mit Kristallen, Mineralen, Gesteinen und Fossilien beschäftigen, allerdings auch mit Physik, Chemie und Mathematik. Doch auch da würde ich mich schon durchbeißen. Das wäre doch gelacht.
    *
    Zunächst hatte ich jetzt aber erst mal Zeit, das ganze Sommerhalbjahr hindurch.

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