Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
Vom Netzwerk:
loswerden. Vielleicht war es aber auch bloße Routine. Wie auch immer, ich kam durch und erhielt als Trophäe meinen kostbaren Führerschein.
    Aber das ist ja eigentlich auch kein Wunder. Wenn man sich die ganzen Idioten ansieht, die unsere Straßen bevölkern und unsicher machen, dann kann es nicht besonders schwer sein, die Fahrprüfung zu bestehen. Vermutlich könnte jeder Affe Auto fahren. Ich habe nie verstanden, warum in unserem Straßenverkehr nicht viel mehr passiert. Kaum hat der Durchschnittsbürger das Lenkrad in der Hand, mutiert er entweder zum rücksichtslosen Rowdy mit eingebauter Vorfahrt oder er bleibt ein verunsicherter Tollpatsch mit Brett vor dem Kopf und Tunnelblick. Ich nahm mir vor, weder das eine noch das andere zu sein.
    Zunächst jedoch war ich überhaupt nichts davon, denn ein Auto kaufte ich mir nicht. Erst mal musste ich wieder etwas verdienen. Eine neue lukrative Einnahmequelle war nicht in Sicht, also musste ich meine Kohle zusammenhalten. Ich bin nämlich wirklich nicht leichtsinnig im Umgang mit Geld.
    *
    Die Sommermonate waren herrlich. Ich genoss die Abende in der Bar, die unterschiedlichen Menschen beobachtete ich mit der Neugier eines Kindes. Hier war alles vertreten, biedere Geschäftsleute, gackernde Tussis, Studenten, die sich nur ein Bier leisten konnten, aufgekratzte junge Leute, die mal die große Sause veranstalten, einsame Seelen, die sich an Toms endlosen Worten labten, und natürlich mitunter auch pöbelnde Betrunkene. Letztere hatte Tom allerdings gut im Griff. Wenn er sich in voller Größe und mit seiner imposanten Körpermasse vor ihnen aufbaute und ihnen mit seiner tiefen Bassstimme autoritäre Anweisungen gab, dann bekam auch der letzte Randalierer Respekt. In Toms Nähe fühlte man sich immer sicher. Das ist eine gute Ausgangsbasis für die Arbeit im Nachtgewerbe.
    So ging der Sommer dahin, luftig wie eine Wiese voller Blumen. Oft saßen wir nach Geschäftsschluss noch bis zum Morgengrauen an der Bar, die Crew experimentierte mit neuen Drinks oder Tom veranlasste mit wortreichen Beschreibungen horizontale Whiskey- und Ginproben, indem er mehrere Gläschen gleichzeitig zum parallelen Vergleich füllte. Ich glaubte ihm natürlich, dass alles, was wir probierten, unglaublich toll war, leider war ich danach aber meist unglaublich voll.
    Trotzdem schwang ich mich auf mein Fahrrad, das ich von einem schwarzen Typen für schlappe dreißig Euro gekauft hatte. Klar hatte der Typ das Ding geklaut, es war nicht besonders neu und einigermaßen klapprig, aber es gab mir Bewegungsfreiheit zu jeder Zeit. In einer Stadt ist so etwas von unschätzbarem Vorteil. Und geklaut oder nicht, so einem Klapperding heult doch keiner nach, oder? So läuft das eben, ein neuer Tausch, der nächste Fahrrad-Hehler besorgt das nächste Rad, und alle profitieren am Ende von diesem kleinen Erwerbszweig im Dunkeln. Oder sehe ich das etwa falsch?
    Ich fand das allgemeine urbane Arrangement ganz okay. Schon tasteten die ersten Strahlenfinger der Morgensonne nach dem kupferleuchtenden Bauwerk vor meinem Fenster, da warf ich mich endlich mit schwerem Kopf auf meine Matratze, der Tag war zu Ende, genug Zeit zum Ausruhen bis zum nächsten Abend.
    Aber eigentlich war es ein schlimmer Sumpf, in den ich mich da begeben hatte, das war mir schon klar. Durchzechte Nächte und verschlafene Tage konnten wohl schwerlich meine Zukunftsperspektive sein. Wenn mein Studium beginnen würde, dann musste auch dieser Schlendrian ein Ende haben. Schließlich begannen manche Seminare schon um acht!
    *
    Anfang Juli erhielt ich eine E-Mail von Maria Pilar. Ich hatte seit über anderthalb Jahren nichts von ihr gehört, umso erstaunter war ich. Sie machte nicht viele schöne Worte sondern kam gleich zum Punkt.
    In venezolanischen Diplomatenkreisen sei eine gewisse Unruhe entstanden, denn es gebe Gerüchte, dass da etwas mit der Tochter des Militärattachés der römischen Botschaft nicht stimme. Dieser, Señor Estevan, sei erschüttert über die üble Nachrede, zumal er gar keine Tochter habe. Doch sei Señor Estevan ja auch erst seit einigen Monaten im römischen Amte, sie habe da einen gewissen Verdacht, und zwar dahingehend, dass eigentlich ihr Boss gemeint sein könnte und ich hinter den Gerüchten stecke. Es sei nämlich mein Foto aufgetaucht, als in Rom ein Detektiv bei seinen Recherchen aufgeflogen war.
    Dieser dämliche Hoch-Tief-Heinz! Wo hatte er mich denn jetzt hineinmanövriert? Darüber musste ich dringend mit ihm

Weitere Kostenlose Bücher