Wie die Libelle in der Wasserwaage
unter einen Hut zu bringen. Aber niemals zog ich es auch nur in Erwägung, meine Last durch die von mir feilgebotenen Drogen zu erleichtern. Wobei meine Arbeit für Joe noch das kleinste und zudem lukrativste Übel war. Der Drogenhandel florierte. Das war wirklich fabelhaft. Bei allem anderen war ich mir nicht so ganz sicher.
Oft fühlte ich mich erschöpft und mutlos. Wenn die Berufsaussichten für Geowissenschaftler ohnehin nicht so grandios waren, warum tat ich mir das Ganze dann überhaupt an? Ja, es machte Spaß und interessierte mich nach wie vor brennend, aber reichte das? Schließlich wollte ich mir ja eine Zukunftsperspektive erarbeiten. Manchmal übermannte mich die Mutlosigkeit. Dann wiederum überwältigte mich die Begeisterung für mein Fach. Was für eine Zwickmühle!
Erschwerend hinzu kamen der ungetrübte Frohsinn und der nicht kleinzukriegende Enthusiasmus von Corinna. Es war weniger das Studium an sich, das sie begeisterte, es waren die Dinge des Lebens, die Begegnungen mit Menschen, die Mode, das tolle Essen, der Wein, die neuen Eindrücke und Erfahrungen, für sie war einfach alles großartig. Was für ein beneidenswertes Geschöpf! Und dann war da ja auch noch Herbert, den sie unverblümt und für jedermann offensichtlich anhimmelte. Was für ein dummes, spätpubertäres Hühnchen sie andererseits doch war!
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Im Mai wurde an unserem Institut eine außerordentliche Exkursion während der Sommersemesterferien angeboten. Es war keine Pflichtveranstaltung, sondern diente allein der allgemeinen Weiterbildung interessierter Studenten.
Zehn Tage Süditalien, genauer gesagt ein Ausflug in die vulkanisch geprägte Region um die Phlegräischen Felder bei Neapel und den Vesuv. Eine geleitete Exkursion, die zahlreiche neue Entdeckungen versprach. Das klang geradezu elektrisierend. Allerdings war es auch nicht gerade billig.
Corinna war total begeistert. Das müssten wir machen, da gab es nichts. Ganz unbedingt. Wir wären doch bescheuert, wenn wir uns diese Gelegenheit entgehen lassen würden! Von ihrem Enthusiasmus ließ ich mich anstecken. Erst später begriff ich, dass Herbert die Exkursion als Supervisor begleiten würde.
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Natürlich meldeten wir uns an. So teuer war es nun auch wieder nicht, und außerdem fuhr auch Sexy-Willy mit. Wer weiß, was sich unterwegs ergeben würde? Nicht so toll war, dass auch der unvermeidliche Hagen mit dabei sein würde. Aber mit Dingen, die man nicht ändern kann, muss man sich eben arrangieren.
Ende August ging es los. Wir fuhren mit dem Zug nach Neapel, eine Strecke, die ich in umgekehrter Richtung noch ziemlich lebhaft in unangenehmer Erinnerung hatte. Doch die Vergangenheit muss man ruhen lassen. Man kann sie nicht mehr ändern, vorbei ist vorbei. Sich darüber zu grämen ist vollkommen sinnlos. Das Leben findet immer im gegenwärtigen Augenblick statt. Von dieser Basis aus kann man nach vorne blicken. Aber nicht zu weit, denn was die Zukunft bringt, weiß man ja doch nicht. Die Vergangenheit ist das, woraus man lernt, die Zukunft das, auf das man hofft. Aber Hoffnung ist Horizont. Man kommt nie an. Deshalb gilt es, die Gegenwart zu gestalten. Etwas anderes haben wir ja nicht, die Vergangenheit ist verpufft und die Zukunft noch nicht da.
Neapel ist ganz schön weit weg und so eine Zugfahrt ist wirklich nicht die reine helle Freude. Allerdings ist sie viel erträglicher, wenn man sich in fröhlicher Gesellschaft befindet. Leider ist aber auch bei der fröhlichsten Gesellschaft irgendwann die Luft raus. Als wir in Neapel ankamen, waren wir alle ziemlich platt.
Mit einem klapprigen, schmutzigen und überfüllten Bus fuhren wir zu unserem Quartier in einer Pension in Castellammare. Unsere Gruppe, insgesamt vierzehn Leute, konnte mir echt dankbar sein. Denn ich sprach ja fließend Italienisch und konnte mich deshalb am Busterminal durchfragen, bis ich den richtigen Bus herausgefunden hatte. Keine Ahnung, was die ohne mich gemacht hätten. Sie waren so blauäugig, zu denken, dass sie sich mit Englisch hätten verständigen können. Offensichtlich hatten sie keine Ahnung von der Starrköpfigkeit der Südeuropäer. Die würden niemals in einer fremden Zunge reden, niemals aus der Kirche austreten, niemals gegen ihre Familie aufmucken, niemals etwas anderes essen, als was sie schon immer gegessen haben. Denn, wie pflegte meine Großmutter so schön zu sagen? Wat der Bauer nit kennt, dat frisst der nit.
Ich hatte ganz vergessen, wie unglaublich hässlich die Gegend
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