Wie die Libelle in der Wasserwaage
zu Füßen des Vesuvs ist, die Vororte von Neapel, die nahtlos in Städte mit so klangvollen Namen wie Torre del Greco, Torre Annunziata oder Castellammare di Stabia übergehen. Grässliche Zweckbauten, Wohnsilos und Gewerbehallen ballen sich hier zu einem staubigen, heruntergekommenen Slum zusammen, farb- und trostlos. Und jetzt im August war es auch noch so heiß, dass die Luft fast zu brennen schien, durchmischt vom Aroma fauliger Tomaten, die hier massenweise zu Dosentomaten und Tomatenmark weiterverarbeitet wurden. Sie türmen sich den ganzen Sommer hindurch auf den Höfen der Fabriken zu wahren Gebirgen und gären in der Sonnenglut vor sich hin. Wenn sie dann erst einmal eingekocht sind, wird das ja kein Mensch mehr merken.
In der Ferne, an den vom Hitzedunst verhangenen Hügeln der Halbinsel von Sorrent, standen die Wälder in Flammen. Wie dicke Libellen brummten Tag und Nacht die Hubschrauber zwischen dem Meer und den Bergen hin und her. Sie holten in großen Bottichen Wasser, das sie über den Flammen entluden, eine unentwegte Sisyphusarbeit, zum Scheitern verurteilt, wie wenn man nackt und unbewaffnet einer bis an die Zähne aufgerüsteten Armee gegenüber träte. Jede Hubschrauber-Libelle brachte sozusagen einen Tropfen auf den heißen Stein. Oder besser auf den heißen Wald.
Aber die Menschen in dieser Region sind merkwürdig. Ihnen scheint all das nichts auszumachen, sonst würden sie es ja ändern oder gleich ganz weggehen. Dieser dumpfe Fatalismus ist wohl dem Leben geschuldet, bei dem man mit einem Fuß immer über den Abgrund hängt, dem buchstäblichen Tanz auf dem Vulkan. Niemand weiß, wann der Vesuv das nächste Mal ausbrechen wird, dieser Vulkan gilt als hoch gefährlich und unberechenbar. Trotzdem wohnen etwa drei Millionen Menschen in dieser Region, mindestens fünfhunderttausend davon in der allergefährlichsten Zone direkt am Berg. Dort ist das Bauen schon lange verboten, aber die Leute tun es trotzdem, obwohl sie wissen, was ihnen jederzeit blühen kann. Das ist doch völlig bescheuert, oder? Die können ja nicht normal sein. Wenn die Angst zur Routine wird, dann stumpfen alle Gefühle ab, zuerst vielleicht der Sinn für Schönheit.
Unsere Absteige lag in einer dieser grauen, heruntergekommenen Wohnkasernen, trost- und freudlos. Die Zimmer, die wir uns jeweils zu zweit teilten, waren schäbig eingerichtet und von notdürftigem Reinheitszustand. Mich widerte das an, aber Corinna, die selbstverständlich das Zimmer mit mir teilte, schien alles mit der stoischen Gelassenheit eines außenstehenden Beobachters zu betrachten. Ich hatte eigentlich erwartete, dass die verwöhnte Höhere Tochter protestieren und in die Suite eines Fünf-Sterne-Hotels in Neapel flüchten würde. Aber nein, sie nahm es hin. Vermutlich wollte sie sich gegenüber Herbert keine Blöße geben.
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Wir kauften uns in einem nahe gelegenen, für italienische Verhältnisse schrecklich schlecht sortierten Supermarkt Getränke und Knabbereien, denn unsere Herberge bot kein Frühstück an. Frühstücken ist in Italien ja ohnehin kein Teil der Volkskultur.
Gleich am nächsten Tag starteten wir unsere erste Exkursion. Mit der Bahn fuhren wir nach Pozzuoli, einer hässlichen Industrie- und Hafenstadt, die auf der von Castellammare entgegengesetzten Seite nahtlos in Neapel übergeht. Hier liegen die Phlegräischen Felder, ihrerseits ein riesiges Vulkangebiet, das nicht nur Ischia seine berühmten heißen Quellen serviert, sondern auf der anderen Seite auch kreuzgefährlich ist. Was für eine Höllengegend!
In Pozzuoli haben die Phlegräischen Felder einen Vulkankrater hervorgebracht, der ganz flach ist und sich fast unauffällig zwischen den Wohnhäusern versteckt, die Solfatara. Diesen Krater besichtigen wir, eine höllenheiße Mondlandschaft, in der es zu allem Überfluss auch noch grauenvoll nach faulen Eiern riecht, denn hier brodelt überall Schwefel aus den Tiefen der Erde an die Oberfläche. Es zischt und raucht an allen Seiten, es blubbert und kocht. Das war einerseits entsetzlich, anderseits echt faszinierend. Wie können Leute da wohnen? Manche Häuser hatten direkten Kraterblick, da vergeht einem doch alles! Nicht nur genießen sie den ständigen Gestank, sie blicken auch noch ununterbrochen in den Abgrund, Wohnung mit Blick auf die drohende Apokalypse. Na denn, Prost!
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Immer wieder näherte ich mich wie zufällig Sexy-Willy und umgarnte ihn mit dahingestreutem Wortgeplänkel. Dabei beobachtete ich amüsiert, dass
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