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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
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Geplapper und schien sich in dieser Rolle auch noch zu gefallen.
    Natürlich hatte sie auch Probleme. Jedenfalls hielt sie das, von dem sie mitunter berichtete, für solche. Corinnas Probleme waren im Allgemeinen von gewichtiger Natur, zum Beispiel der Qual bei der Auswahl einer passenden Strumpffarbe zu ihrem neuen Dark Purple Satin Pencil Skirt . Lila oder besser neutrales schwarz? Das war so gnadenlos bescheuert. Was wusste dieses Kind schon von der Welt da draußen und ihren wirklichen Problemen?
    Corinna war ein behütetes Nesthäkchen, ihre Eltern servierten ihr alles auf einem goldenen Tablett. Sie wohnte noch zu Hause, was sich anbot, denn die Eltern hatten eine Villa in Dellbrück. Zur Uni konnte sie bequem mit der Straßenbahn anreisen, trotzdem hatte sie natürlich ein eigenes Auto, einen brandneuen VW-Golf, für sie ein Zeichen demutsvoller Bescheidenheit. Sie hatte einen älteren Bruder, der in Oxford studierte, und zwar ein ernstzunehmendes Fach, kein besseres Hobby wie die Geowissenschaften es ja eigentlich waren. Es sprach sich nämlich recht schnell herum, dass von hundert fertig ausgebildeten Geologen am Ende neunundneunzig ohne Stelle blieben. Corinna studierte, weil sie sich für das Fach interessierte. Auf eine berufliche Zukunft war sie nicht angewiesen, sie spielte nicht einmal mit dem Gedanken daran. Ihr Bruder hatte dagegen andere Schwerpunkte. Ganz offensichtlich war er dazu bestimmt, in das Firmenimperium seiner Mutter einzusteigen.
    Corinna war mittelgroß und zierlich. Sie sah ganz passabel aus, wobei sie keine außergewöhnliche Schönheit war. Eigentlich wirkte sie ein bisschen zu brav und zu bieder, in einer Menschenmenge fiel sie nicht weiter auf, ihre Konturen verwischten und mischten sich mit denen der anderen Durchschnittsfiguren zu einem Einheitsbrei der Langeweile. Sie trug ihr braunes Haar glatt, schulterlang und stets akkurat geschnitten. Ihre Kleidung war natürlich edel, aber so unauffällig und konservativ, dass meine Mutter vor Begeisterung gar nicht an sich hätte halten können. Eine junge Frau aus dem dritten Jahrtausend kleidete sich so jedenfalls nicht.
    *
    Natürlich sah ich mir auch die Jungs an. Die meisten interessierten mich nicht. Sie waren einfach nicht mein Typ. Nur einen fand ich ziemlich sexy, Willy, den Amerikaner. Eigentlich war nichts Amerikanisches an ihm, er sprach fließend und akzentfrei Deutsch, denn er war hier aufgewachsen, und er sah auch nicht so aus wie die aalglatten Standard-Schönlinge aus den amerikanischen Filmen. Auch fehlte ihm etwa die dreitagebärtige, lässig-überlegene Coolness eines Jack Shepard aus der Serie Lost . Er war eher der schlaksige Typ, wie der junge Westernhagen, mit Armen und Beinen, die irgendwie zu lang waren und fast wie Fremdkörper an seinem dünnen Leib klebten. Willy fuhr neben dem Studium Taxi, ich fand das sehr beeindruckend und muss gestehen, dass ich in diesem Winter eine Zeitlang in ihn verknallt war. Die Sache hatte nur einen Haken, Willy interessierte sich nicht für mich.
    Sein Freund Hagen war dagegen ein ziemlich armseliger Idiot. Er war mit einer Japanerin verheiratet, die ihrerseits irgendwas studierte, aber die beiden führten eine „offene Ehe“, was Hagen bei jeder sich bietenden Gelegenheit heraushängen ließ. Das war für ihn der Freibrief, herumzuvögeln, wo immer sich eine Möglichkeit bot. Er hing wohl der nostalgischen Illusion einer von allen Konventionen befreiten Liebesbeziehung nach, so wie John Lennon es dereinst mit Yoko Ono vorgelebt hatte. Mit Sicherheit hatte er sich genau deshalb eine Japanerin ausgesucht. Und nun versuchte er angestrengt, ein schon seit mehr als dreißig Jahren überholtes Rebellendasein nachzuspielen, einen vermeintlichen Befreiungsschlag, den die Jugend dereinst gegen althergebrachte Restriktiven losgetreten hatte. Ein wichtiger Schritt für ihre Generation, die sich von herrschsüchtigen und unbelehrbaren Faschisten freistrampeln musste. Aber angesichts der menschlichen Psychologie auch ein grandios zum Scheitern verurteiltes Experiment.
    Dieser Hagen war mir zutiefst zuwider, aber leider hing er ständig im Schlepptau von Willy und war damit stets, wenn auch unerwünscht, in meinem Visier.
    Und dann gab es noch Herbert. Herbert war in seinem Studium schon etwas weiter fortgeschritten, eigentlich fast fertig, hatte aber freiwillig eine Art Tutorenjob für Studienanfänger übernommen. Er war unser Ansprechpartner, wenn wir Uni-interne Regelungen nicht auf

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