Wie die Libelle in der Wasserwaage
auch die einsilbige Reaktion von Tom, als ich ihm telefonisch mitteilte, dass ich nicht zu meinem Job zurückkehren würde. Ach, sollte er doch denken, was er wollte!
Ich kündigte meinen deutschen Handyvertrag und besorgte mir einen italienischen. Das hatte auch den großen Vorteil, dass mich weder Heinz noch Tafari erreichen konnten und ich ihre lästigen Anrufe endlich los war. Besonders betraf das Tafari. Denn letztlich war ich natürlich gezwungen gewesen, ihm etwas vorzuflunkern, um ihn abzuwimmeln. Und Lügen finde ich echt mies.
*
Ich überlegte fieberhaft, wie es nun weitergehen sollte. Dauerhaft bei Salvatore und seiner Sippe zu bleiben war keine Option. Das würde ich nicht durchstehen. Zwar umgarnte Salvatore mich stets mit zuckrigen Komplimenten. Doch blieb es bei schwülstig-übertriebenen, blumigen Worten, entsprechende Handlungen fanden nicht statt. Dazu die ständige Anwesenheit der Familie, besonders die Gängelei durch seine immer an wichtigster Stelle präsente und bestimmende Mutter, das war zu viel. Es passierte tatsächlich, dass ich früh morgens mit Salvatore eilig aufbrach, um frisches Gemüse zu kaufen, und seine Mutter währenddessen in unsere Wohnung ging und unser Bett machte. Wo um Himmels willen war ich da hineingeraten?
Sollte ich mir eine andere Möglichkeit in Italien suchen? Einen Laden aufmachen, Touristen am Vesuv völlig überflüssige Kühlschrankmagneten verkaufen oder dergleichen? In Italien weiterstudieren? Zurück nach Deutschland gehen und mein Studium fortsetzen? Ich war ordnungsgemäß zum Wintersemester zurückgemeldet, eine Zwangsexmatrikulation hätte ich also noch vermeiden können. Und ich konnte auf den Job bei Tom pfeifen, da würde sich doch mit links etwas anderes finden lassen. Gut, der andere lukrative Nebenjob wäre weg, aber auch da würden sich Möglichkeiten finden. Es hatte doch bisher noch immer einen Ausweg gegeben. Und wenn Köln mir keine Heimat mehr wäre, dann gäbe es auch noch andere Städte, in denen ich weiterstudieren könnte. Ich könnte den Fachbereich in ein Studium mit besserer Zukunftsperspektive umwandeln, was weiß ich, ein weiteres Fach dazu nehmen und auf Lehramt machen oder etwas anderes dazu studieren, wie Jura oder Wirtschaftswissenschaften, um mein Spektrum zu erweitern. Wovor hatte ich Angst? Ich hatte doch alle Möglichkeiten!
Dann stellte ich fest, dass ich schwanger war.
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Meine Welt ging unter. Ich dachte, ich müsse sterben. Nein, eigentlich erschien mir der Tod als der einzig gangbare Ausweg aus dieser vertrackten Situation. Schwanger. Wie hatte mir das passieren können?
Ich war es selber schuld, ich Idiotin hatte die Pille abgesetzt, nachdem ich Hamburg und den regelmäßigen Sex verlassen hatte. Das war unverantwortlich, klar, aber was soll ich sagen, die Schachtel war leer, einen neuen Gynäkologen hatte ich mir noch nicht gesucht und außerdem schien die Sache ja auch nicht wirklich anzubrennen. Wenn sich ein neuer Lover herauskristallisieren würde, könnte ich mir ja noch immer was besorgen, so dachte ich. Und einmal ist keinmal , oder? Das hatte jedenfalls meine Großmutter immer behauptet.
Okay, mit Herbert war es nur einmal – und das zählte ja nun wirklich nicht. Mit Salvatore war es nun schon ein paar Mal öfter gewesen. Ich war einfach leichtsinnig gewesen. Was für eine Katastrophe! Und jetzt?
*
Natürlich wäre Abtreibung möglicherweise eine Option gewesen. Aber da hatte ich zu große Skrupel. Die Schwangerschaft flößte mir einen ungeheuren Respekt ein, so als geschehe etwas mit mir, das größer war als ich selbst. Schließlich lebte etwas in mir, und das war nicht nur das Wunder der Schöpfung, das war etwas Einzigartiges, etwas, was die Welt noch nicht gesehen hatte: Es war mein Kind! Wie hätte ich es töten können?
Nein. Die Schwangerschaft traf mich schwer, es war wie ein Nuklearangriff des Schicksals, aber ich musste mich damit arrangieren. Die konzentrischen Kreise, die sich um mich bildeten und sich langsam zuschnürten, um mir die Luft zu nehmen, würden sich schon wieder verziehen. Wird man plötzlich und unvermittelt mit einem schweren Problem konfrontiert, dann meint man, schwarze Schleier würden die Farben der Welt auslöschen und infolgedessen letztere als nächstes untergehen. Aber vom Mond aus betrachtet ist das vermeintliche Problem schon gar nicht mehr so groß. Letztendlich wird man mit allem fertig, wenn man den Schock erst einmal überwunden hat. Und später, im
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