Wie die Libelle in der Wasserwaage
bemerkenswerter Liebhaber, sondern wie die meisten Männer in erster Linie an seiner eigenen Lust interessiert und ansonsten viel zu sehr von sich eingenommen, um wirkliche Empathie für die Partnerin aufbringen zu können. Männer, die sich per definitionem toll finden, kommen gar nicht auf die Idee, ihr sexuelles Verhalten auf den Prüfstand zu stellen. Wozu auch, sie sind ja toll.
Auch, dass das Leben im Wesentlichen aus Arbeit bestand, war für ihn eine nicht in Frage zu stellende Tatsache. Das ist eben so, fertig. Darüber dachte er nicht einmal nach. Die Notwendigkeit stellte sich ihm nicht, denn er fand es großartig, so wie es war. Wozu dann noch nachdenken?
Und das dritte Manko meines neuen Gefährten war seine Familie. In Italien dreht sich alles um die Familie. Niemand kommt auch nur auf die Idee, die ständige, beherrschende Anwesenheit der Familie zu hinterfragen. Denn die Familie ist heilig. Deshalb findet auch nichts ohne die Familie statt. Salvatores verwitweter Onkel half in der Küche, seine beiden halbwüchsigen Söhne bedienten die Gäste. Kinderarbeit ist in italienischen Familienbetrieben kein Thema.
Salvatores Eltern saßen jeden Abend mit schöner Selbstverständlichkeit im Restaurant. Sie aßen hier, sie hielten hier ihr abendliches Familienritual ab. Salvatores jüngere Schwester kam mit ihrem Mann und den zwei verzogenen Gören dazu. Dann trudelte sein älterer Bruder ein und brachte seinerseits Frau und drei Kinder mit dazu. Ein wildes Geschnatter, Geplärre, Gestikulieren und lautstarkes Durcheinander charakterisierte den Rest des Abends. Gerne gesellten sich noch ein paar weitläufigere Verwandte und Nachbarn dazu, die ihrerseits große Teile der jeweiligen Familien mitbrachten. So ging das Tag aus, Tag ein. Mal mag es ja nett sein, einen lustigen Abend in fröhlich-chaotischer Runde zu verbringen. Aber immer? Das ist ein Albtraum!
*
Corinna schickte mir treu und zuverlässig die von mir gewünschten Sachen. Sie fand in kürzester Zeit einen Nachmieter für meine Wohnung, die erforderlichen Unterschriften leistete ich problemlos per Fax. Meine Entscheidung, das Studium sausen zu lassen und in Italien zu bleiben, konnte sie noch immer nicht gutheißen, aber sie verstand schon, dass im Leben nur die Liebe zählt. Denn, so erzählte sie mir selig am Telefon, endlich habe es zwischen ihr und Herbert gefunkt. Wobei der Funke bei ihr ja schon lange vor sich hin geschmort hatte, endlich schien er nun zu ihm übergesprungen zu sein und ein leidliches Feuer entfacht zu haben. Wozu so ein Bänderriss gut sein kann!
Ich gönnte den beiden ihr Glück von Herzen. Zwei einsame Langweilerherzen, die sich gefunden hatten. Sie würden brav ihr Studium beenden, Herbert würde irgendeinen Job finden, vielleicht nicht unbedingt als Geowissenschaftler, aber im Zweifel mit Unterstützung durch Corinnas Eltern in einer der Firmen, die sich in den Schubladen von Corinnas Mutter oder unter dem Teppich des Aufsichtsrates ihres Vaters finden würden. Corinna würde sich auf das Dasein als liebende und vor allem brave Gattin beschränken, die Wohnung gemütlich machen und mehreren Kindern das Leben schenken. Danach würde sie sich auf die engagierte Arbeit im Elternrat des Kindergartens, in der Schulpflegschaft und vielleicht noch in diversen Vereinen, dem Fußballverein ihrer Söhne, dem Reiterverein ihrer Töchter, dem Tennisclub oder der Bastelgemeinschaft, dem Kinderchor oder gegebenenfalls der Kirchengemeinde konzentrieren.
Herbert würde mitunter als verantwortungsbewusster Vater mit zu den anstehenden Terminen und Veranstaltungen kommen, sich ansonsten aber auf vereinzelte fußballzentrierte Männerfreundschaften und im Wesentlichen auf das Fernsehprogramm und den Bierkasten fokussieren. Der hübsche, bürgerliche Rahmen dieses Daseins war gesteckt und gesichert, denn dank Corinnas Eltern hatte man ausgesorgt. Höhen und Tiefen gäbe es nicht, zumindest nicht in diesem äußeren Rahmen. Was für ein feines, biederes und vor allem sterbenslangweiliges Leben. Herzlichen Glückwunsch!
Von irgendwelchen auf mich bezogenen Problemen berichtete mir Corinna übrigens nie. Also ich meine, Sachen wie Investigationen durch die Polizei oder derartiges. Alles schien ruhig zu sein. Am Ende war die ganze Aufregung umsonst gewesen.
Aber, wie sagte meine Großmutter immer so schön? Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste . Es war sicher die klügere Entscheidung, nicht nach Köln zurückzukehren. Dafür sprach
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